TeamarbeitWie Führungskräfte Groupthink vermeiden
Was ist Groupthink?
Groupthink oder Gruppendenken bezeichnet ein Phänomen, bei dem sich alle Personen der Haltung der Mehrheit anschließen – unabhängig davon, welche Meinung sie selbst vertreten. Sogar dann, wenn die betroffenen Personen überzeugt davon sind, dass die Ansicht oder Annahme der Gruppe falsch ist, passen sie sich an.
Ursprünglich wurde der Begriff Groupthink vom amerikanischen Psychologen Irving Janis geprägt, der sich in den 1970er-Jahren mit außenpolitischen Entscheidungen in Amerika beschäftigte. Er nahm an, dass einige Entscheidungen nur aufgrund der Gruppendynamik zustande kamen.
Janis war überzeugt: Wenn Menschen gegen ihre Überzeugung handeln und wider besseres Wissen entscheiden – nur um sich der Mehrheit anzuschließen –, kommt nichts Gutes dabei heraus.
Wodurch entsteht Gruppendenken?
Häufige Ursachen für Gruppendenken sind:
- Die Leistungsfähigkeit der Gruppe wird überschätzt, sowohl vonseiten der Mitglieder als auch vonseiten Dritter.
- Termine und Fristen werden zu kurzfristig geplant.
- Das Team steht unter einem hohen zeitlichen Druck.
- Die Teammitglieder arbeiten schon lange zusammen.
- Sie teilen fachliche Ansichten und nutzen dieselben Methoden.
- Es besteht ein starkes Harmoniebedürfnis.
- Teammitglieder haben – berechtigt oder unberechtigt – Angst vor Ablehnung oder Ausgrenzung.
- Der Wunsch nach Zugehörigkeit und Akzeptanz ist stärker als der Wille, zum richtigen oder zum besten Ergebnis zu gelangen.
Woran erkennen Sie Gruppendenken?
Groupthink kommt in Teams häufig vor – sporadisch, immer wieder oder permanent. Sie sollten bei Teamentscheidungen die Kommunikation im Team sowie Ihre Kommunikation mit dem Team regelmäßig kritisch hinterfragen:
- Hat wirklich jede und jeder die eigene Meinung frei geäußert?
- Wie hat das Team darauf reagiert?
- Wurde die abweichende Meinung berücksichtigt oder wenigstens respektiert?
Sie erkennen Groupthink an den folgenden Symptomen:
- Das Team wirkt überzogen optimistisch.
- Alle Teammitglieder scheinen vollkommen überzeugt von der Richtigkeit ihrer Entscheidung.
- Sie geben sich kompromisslos und verteidigen die Meinung der Gruppe nach außen.
- Gegenspieler und Abweichler werden stereotypisiert oder lächerlich gemacht.
- Schlechte Entscheidungen werden gemeinsam beschönigt; eine echte Reflexion findet nicht statt.
- Sie bemerken einen Konformitätsdruck; Abweichler werden stigmatisiert.
- Von innen und außen besteht der unausgesprochene Anspruch, schnell und diskussionslos zu einer gemeinsamen Entscheidung zu kommen.
- Informationen aus dem Team werden zensiert.
- Teammitglieder geben sich im Unternehmen außerhalb der Gruppe verschwiegen.
Warum kann Groupthink schädlich sein?
Gruppendenken ist eine Form der selektiven Wahrnehmung. Das bedeutet, dass Gegenargumente, Probleme oder (berechtigte) Kritik ausgeblendet werden und Personen nur das wahrnehmen, was sie wahrnehmen möchten. Die Folgen: Fehlentscheidungen werden deutlich wahrscheinlicher. Die Meinungen von erfahrenen Expertinnen und Experten stehen im extremen Fall hinter der Meinung der Gruppe zurück.
Durch Gruppendenken werden ungewöhnliche Ideen verschwiegen. Das bremst oder verhindert eine gute Lösungsfindung. Wenn sich niemand traut, der Mehrheit zu widersprechen, werden Innovationen im Keim erstickt.
Sie als Führungskraft können vom Gruppendenken ebenfalls beeinflusst werden. Vielleicht haben Sie sich schon einmal im Anschluss an eine vermeintlich unabhängig getroffene Entscheidung gefragt: Hat die starke, kollektive Meinung meines Teams mich vielleicht doch beeinflusst?
Die meisten Vorgesetzten wissen, dass sie neutral und unabhängig bleiben sollten. Doch im Arbeitsalltag gelingt das nicht immer. Wer sich mit dem Phänomen Gruppendenken auseinandersetzt und die Symptome erkennt, kann das eigene Handeln besser selbst reflektieren.
Inwiefern fördern Führungskräfte Gruppendenken unabsichtlich?
Obwohl sie wissen, dass die Meinung der Mehrheit nicht immer die richtige oder die beste ist, begehen viele Führungskräfte und Vorgesetzte einen Fehler: Sie signalisieren dem Team unbewusst schon vorab, welche Antwort erwartet wird.
Mit der Zeit kann ein Team seine Führungskraft relativ gut einschätzen und wird daher ahnen, worauf die Person hinauswill, wenn eine bestimmte Frage gestellt wird oder eine bestimmte Entscheidung ansteht. Die kollektive Antwort fällt entsprechend aus. Niemand widerspricht.
Versuchen Sie, Ihre Fragen so neutral wie möglich zu formulieren. Legen Sie sich die Formulierungen vor der Teambesprechung zurecht, wenn das spontan nicht funktioniert. Reagieren Sie bewusst positiv auf innovative Ideen und Antworten Einzelner, mit denen Sie nicht gerechnet haben.
Ein weiterer typischer Fehler: Viele Führungskräfte fragen „in den Raum“. Das heißt, sie wenden sich mit der Bitte um eine fachliche Einschätzung oder einen konkreten Vorschlag an das Team als Ganzes. Niemand wird direkt angesprochen.
Wenden Sie sich an einzelne Teammitglieder, werden Sie viel eher konkrete, ehrliche und vor allem unterschiedliche Antworten erhalten. Deshalb ist es manchmal besser, Einzelgespräche zu führen. Verlassen Sie sich nicht darauf, dass sich Einzelne mit abweichenden Ansichten im Gruppengespräch von selbst bemerkbar machen.
Sieben Maßnahmen gegen Gruppendenken
1. Bei der Zusammenstellung des Teams auf Vielfalt achten
Dem Phänomen Groupthink wirken erfahrene Führungskräfte bereits vor der Zusammenstellung eines Teams oder beim Auswählen neuer Teammitglieder entgegen.
Achten Sie darauf, dass neue Mitarbeitende zwar zum Team passen, sich aber gleichzeitig im Hinblick auf ihre Persönlichkeit, den fachlichen Hintergrund und hinsichtlich des Lebenslaufs sowie Alters nicht zu ähnlich sind. Wer ähnliche Erfahrungen teilt, der diskutiert seltener und ist sich schneller einig, was im Hinblick auf unerwünschtes Gruppendenken kontraproduktiv ist.
2. Entscheidungsfindung ohne Führungskraft ermöglichen
Nehmen Sie an Meetings zum Entscheidungsfindungsprozess im Team gelegentlich nicht teil. Lassen Sie sich stattdessen ein Protokoll aushändigen, das ein von Ihnen ernannter Moderator anfertigt. Die moderierende Person ist nicht Teil des Teams, sondern ein neutraler Dritter.
Ergreifen Sie außerdem bei Diskussionen im Team für keine Seite die Partei, sondern bleiben Sie neutral. Erst, wenn eine endgültige Entscheidung getroffen wird, beziehen Sie Stellung. Hierdurch verringert sich die unabsichtliche Einflussnahme.
3. Alternative Lösung(en) fordern
Eine ungewöhnliche Maßnahme: Bitten Sie Ihr Team, nicht nur eine mögliche Antwort zur Problemlösung zu finden, sondern mindestens zwei. Eine Lösung darf als Notlösung deklariert werden – das verringert den Druck, gleich zwei optimale Lösung finden zu müssen.
Durch diese Forderung an Ihr Team werden zumindest bei der zweiten Lösung alternative Meinungen eher berücksichtigt, da es sich schließlich nur um die „schlechtere Alternative“ handelt. Ob das wirklich so ist, entscheiden am Ende Sie.
4. Advocatus Diaboli einsetzen
Setzen Sie in Teambesprechungen je nach Anlass einen „Advocatus Diaboli“ ein. Die- oder derjenige hat den Auftrag, bewusst eine andere Meinung zu vertreten, als die Mehrheit.
5. Teilgruppen bilden
Wenn wichtige Entscheidungen getroffen oder Lösungen erarbeitet werden müssen, teilen Sie das Team in zwei oder drei Gruppen ein, die vorübergehend unabhängig voneinander arbeiten.
Möglicherweise werden in den Gruppen unterschiedliche Ansätze erarbeitet, weil die Gruppen kleiner sind und der Mehrheitsdruck entsprechend geringer ist.
6. Außenstehende mitwirken lassen
Greifen Sie auf unabhängige, von allen akzeptierte Dritte oder externe Experten zurück. Diese äußern Ihre sachliche, fundierte Meinung – noch bevor die Gruppe ihre Lösung präsentiert oder sich ein endgültiges Urteil über die Sachlage bildet.
7. Anonyme Ideensammlungen und Umfragen etablieren
Führen Sie anonyme Ideensammlungen durch. Jedes Teammitglied schreibt seine Antwort, einen Vorschlag oder eine mögliche Lösung auf einen Zettel. Sie sammeln alle Zettel ein und notieren die Vorschläge. Diese werden danach in der Gruppe diskutiert, bewertet und verglichen. So verhindern Sie, dass jemand seine Gedanken zurückhält, um bloß nicht aus der Reihe zu tanzen.
Auch durch anonyme Abstimmungen erfahren Sie die wahre Meinung Ihrer Teammitglieder. Der Hang zu Groupthink wird geringer, weil sich niemand zu erkennen geben muss und nicht mit persönlicher Ablehnung seitens der Gruppe rechnen braucht.