Prozesse verbessernProzesse bewerten und verbessern mit dem Reifegradmodell
Wozu dient das Reifegradmodell?
Die Leistung eines Unternehmens wird durch seine Prozesse erbracht. Das Prozessmanagement soll die wichtigen Prozesse eines Unternehmens ziel- und ergebnisorientiert gestalten, verbessern und immer wieder erneuern. Doch wie lässt sich feststellen, wie gut das Prozessmanagement arbeitet? Ein Instrument dazu ist ein Reifegradmodell.
Ein Reifegradmodell erleichtert die objektive Beurteilung der Prozesse. Es hilft bei der Beobachtung der Entwicklungstrends bei Prozessen und bei der Optimierung und Steuerung von Prozessen. Ein Reifegradmodell ermöglicht außerdem den Vergleich mit anderen Unternehmen oder Unternehmenseinheiten. Im Folgenden wird ein praxisnahes Reifegradmodell vorgestellt, das sich an internationalen Standards orientiert.
Prozesse nach ihrem Beitrag zur Strategie überprüfen
Die Prozesssteuerung sollte sich vor allem auf die Kernprozesse konzentrieren, die wichtig sind für die Kernkompetenz des Unternehmens. Die Kernkompetenz ist ein Bündel von Fähigkeiten, das das Unternehmen in die Lage versetzt, sich unverwechselbar am Markt zu positionieren und den Kernauftrag, die Mission, zu erfüllen.
Die Strategie ist der Weg von der Kernkompetenz zum Kernauftrag. Dieser Weg kann nur über das Managen der Prozesse im Unternehmen beschritten werden. Daher ist es folgerichtig, jeden Prozess nach seinem Beitrag für die Strategie mit folgenden Fragen zu überprüfen:
- Welcher konkrete Kundennutzen und welcher Wettbewerbsvorteil für den Kunden ergibt sich aus dem Prozess?
- Kann auf den Prozess oder auf einen Prozessschritt verzichtet werden, ohne dass ein Nachteil für den Kunden entsteht?
- Kann der Prozess oder Prozessschritt rentabler bewerkstelligt werden, ohne den Kundennutzen oder den Wettbewerbsvorteil zu beeinträchtigen?
- Welche Kundenanforderungen werden nicht oder zu wenig berücksichtigt?
Strategische Priorität der Prozesse ermitteln
Besonders die Kernprozesse müssen hinsichtlich ihres Beitrags zur Strategie und Zielerreichung untersucht werden. Mit der Analyse werden Prozessdefizite identifiziert. Die identifizierten Defizite können dann eliminiert oder verringert werden. Die Prozesse und ihre operative Effizienz sollten nach einer Prioritätenliste verbessert werden. Dazu wird nachfolgend eine Methode vorgestellt, wonach sich die strategische Priorität eines Prozesses aus zwei Faktoren ergibt:
- Relativer Kundenwert
Wertschöpfung des Prozesses in Relation zur Konkurrenz - Relative Kompetenz
Prozesskompetenz in Relation zur Konkurrenz bezogen auf Ziele (zum Beispiel Durchlaufzeit, Termintreue oder Prozesskosten)
Nach der Analyse und Bewertung der Prozesse werden die relativen Werte beider Faktoren in ein Portfolio-Diagramm eingetragen. Damit ist eine übersichtliche Darstellung der Prozesse und die Zuordnung zu vier Quadranten (Kompetenzbereiche) gegeben. Aus dem Portfolio ergibt sich automatisch die jeweilige Handlungsempfehlung:
- Kernkompetenz
Prozess aufrechterhalten und ständig verbessern - Kompetenzpotenzial
Prozess besser nutzen und Wert in den Vordergrund stellen - Kompetenzlücke
Mängel eliminieren und Kompetenzen mittelfristig ausbauen - Standardkompetenz
nichts tun
Der relative Kundenwert bemisst den Kundenwert je Prozess. Der relative Kundenwert wird bestimmt durch:
- Ermittlung kritischer Erfolgsfaktoren (KEF) mittels Marktforschung und durch eigene Erfahrungen
- Eventuelle Gewichtung der KEF, zum Beispiel mittels paarweisem Vergleich
- Zuordnung der Prozesse zu den KEF: Welche Prozesse wirken wie stark auf welche KEF?
Die relative Kompetenz bemisst die Kompetenz je Prozess. Die relative Kompetenz wird bestimmt durch:
- Interne Analyse der Prozesse
- Wettbewerbsvergleich der Prozesse
- Zusammenführen der internen Analyse mit dem Wettbewerbsvergleich
Prozessleistung messen
Prozessmessgrößen sind ein zentrales Element des Prozessmanagements. Eine erste Orientierung kann das „Magische Dreieck der Betriebswirtschaft“ bieten, denn es lassen sich zumindest zu den drei Basisgrößen „Qualität“, „Zeit“ und „Kosten“ sinnvolle Prozessmessgrößen finden.
Auch Eigenverantwortung der Mitarbeiter ist wichtig. Die Prozessverantwortlichen sollen selbst bestimmen, mit welchen Kennzahlen sie ihre Prozesse messen und steuern wollen. Die strategische Abstimmung mit den Unternehmenszielen ist jedoch erforderlich. Es ist zweckmäßig, zwei Arten von Prozessmessgrößen zu unterscheiden: Führungsmessgrößen und Einflussmessgrößen.
Führungsmessgrößen definieren die Anforderung an den Prozess und die Leistung des Prozesses. Sie sind abgeleitet aus übergeordneten Zielen (Strategie, übergeordnete Prozesse). Beispiele für Führungsmessgrößen sind: Durchlaufzeit, Prozesskosten, Produktivität, Fehlerrate, Kosteneinhaltung, Anzahl der Beschwerden, Zielerreichungsgrad, Termintreue.
Einflussmessgrößen haben Einfluss auf die Prozessleistung. Sie sind abgeleitet aus einer systemischen Unternehmensbetrachtung. Beispiele für Einflussmessgrößen sind: Qualifikationsniveau, Informationsdichte, Führungsqualität.
Führungsmessgrößen sollten zudem strategisch verankert sein. Wichtig ist auch eine Analyse, wie die Einflussmessgrößen auf die Führungsmessgrößen wirken.
Reifegrad von Prozessen ermitteln
Die Kriterien für die Einordnung in einen der fünf Reifegrade müssen natürlich eindeutig formuliert und messbar sein. Konzepte wie das Excellence-Modell der EFQM oder DIN EN ISO 9004:2018 können dabei hilfreich sein.
Wie werden die Prozess-Reifegrade nun praktisch ermittelt? Dazu ist eine Checkliste zu den fünf Stufen hilfreich, anhand derer eine erste Einstufung eines Prozesses in den entsprechenden Reifegrad oder Level erfolgen kann.
Reifegrad 5: Optimiert
- Prozess ist Routine
- Kontinuierlicher Verbesserungsprozess ist etabliert
- Ziele sind strategisch
- Prozessaudits finden regelmäßig statt
- Organisation agiert wertschöpfend
- Schwächen werden systematisch gesucht
Reifegrad 4: Gelenkt
- Prozesse werden mittels Kennzahlen gemessen
- Quantitative Ziele sind definiert
- Zielerreichung wird gemessen
- Zeiten und Qualität sind zuverlässig kontrollierbar
- Organisation agiert serviceorientiert
Reifegrad 3: Definiert
- Standard-Prozesse
- Prozesse dokumentiert
- Organisationseinheit für Umsetzung definiert
- Kennzahlen definiert
- Zeiten zuverlässig planbar
- Qualität noch schwankend
- Organisation proaktiv
Reifegrad 2: Wiederholbar
- Stabile, dokumentierte Prozesse
- In‐ und Output dokumentiert
- Erfahrungen vergangener Projekte werden berücksichtigt
- Zeiten planbar
- Qualität überprüfbar, aber schwankend
- Organisation ist reaktiv
Reifegrad 1: Situativ
- Ad‐hoc‐Prozesse
- In‐ und Outputs bekannt
- Vorgehensweise bekannt
- Keine konsequente Planung
- Zeit nicht vorhersehbar
- Qualität nicht vorhersehbar
- Organisation ist chaotisch
Ziel-Reifegrad der Prozesse festlegen
Gehen Sie Ihre Kernprozesse, vor allem die hoch priorisierten, mit dem Management oder zumindest den Prozessverantwortlichen anhand der Checkliste durch. Damit können Sie auf einfache Weise die Prozessreifegrade bestimmen. Im zweiten Schritt legen Sie die Ziel-Reifegrade der einzelnen Prozesse fest. Dabei können Sie sich am Prozessportfolio orientieren. Überlegen Sie Maßnahmen, um diese Reifegrade zu erreichen. Ihre Prozesse werden so sukzessive „reifer“.
Fortschritte feststellen
Ein Prozess-Benchmarking und die Messung von Prozessgrößen sind nicht Selbstzweck, sondern dienen der Überprüfung der Zielerreichung, der Prozesslenkung und der kontinuierlichen Verbesserung (KVP).
Von besonderer Bedeutung bei KVP ist die laufende und zeitnahe Visualisierung der Prozessmessgrößen und des Prozess-Reifegrades für alle Beteiligten. Das informiert einerseits die Prozessnutzer über das Ergebnis „ihres“ Prozesses und kann andererseits Motivation für Prozessverbesserung sein. Kurze, schnelle Regelkreise der Verbesserung können so wirksam aufgebaut werden.
Durch ein gemeinsames Reifegradmodell sind Vergleiche der Prozessleistung einfach möglich. Vergleiche können sowohl unternehmensintern erfolgen, etwa mit anderen Standorten, als auch mit anderen Unternehmen.