FührungWie Führungskräfte die Selbst- und Fremdeinschätzung ermitteln
Was ist ein blinder Fleck bei der Selbstwahrnehmung?
Beim sogenannten blinden Fleck geht es um Merkmale der Persönlichkeit, die sich der eigenen Wahrnehmung entziehen, im Umfeld aber bekannt sind.
Ein Beispiel: Mitarbeitende können die schwierigeren Seiten ihres Vorgesetzten bei der Zusammenarbeit benennen. Der Vorgesetzte selbst kann das weniger gut, während er wiederum die schwierigen Seiten seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gut benennen kann.
Typisch am blinden Fleck ist, dass wir zwar oft um eine bestimmte Seite in uns wissen, aber eine relativ große Diskrepanz zwischen der Eigen- und der Fremdwahrnehmung im Umfeld besteht. Auf Dauer birgt das eine gewisse Sprengkraft, insbesondere wenn es um Beförderungen oder die weitere berufliche Entwicklung geht. Das zentrale Problem ist dabei weniger die Ausprägung einer bestimmten Führungskompetenz, sondern die Diskrepanz zwischen der Selbsteinschätzung der Führungskraft und der Einschätzung des relevanten Umfelds.
Den blinden Fleck im Johari-Fenster einordnen
Der Begriff „blinder Fleck“ wurde von den Sozialpsychologen Joseph Luft und Harry Ingham von der University of California 1955 das erste Mal in die Diskussion gebracht. Beide gelten als Urheber des Johari-Fensters.
Verfahren zur Eigen- und Fremdeinschätzung
Wie lässt sich eine Eigen- und Fremdeinschätzung vom Verhalten einer Führungskraft konkret vornehmen? Ein Raster kann helfen, die Bereiche mit den größten Diskrepanzen aufzudecken und Teile des blinden Flecks sichtbar zu machen. Das Verfahren basiert auf einem Ansatz des Managementautors und Unternehmensberaters Marshall Goldsmith, wie er es in seinem Buch „What got you here, won’t get you there“ beschrieben hat.
Das Verfahren ist simpel, die Umsetzung nicht. Im Folgenden werden deshalb acht Schritte beschrieben, die Führungskräften helfen, ihren blinden Fleck zu ermitteln:
1. Führungsverhaltensweisen definieren
Definition von 20 bis 30 wichtigen Führungsverhaltensweisen, zum Beispiel „Behandelt Personen im Umfeld mit Respekt“, „Vertraut den Mitarbeitern und kann loslassen“. Möglicherweise existiert ein solcher Referenzrahmen für Verhaltensweisen bereits im Unternehmen.
2. Selbstbeurteilung vornehmen
Führungskräfte beurteilen sich selbst für jede Führungsverhaltensweise auf einer Skala zwischen 1 (trifft gar nicht zu) und 10 (trifft komplett zu). Dies sollten sie möglichst aus dem Bauch heraus tun und nicht viel darüber nachdenken. Wichtig: Aus der eigenen Sicht beurteilen, nicht aus der Sicht der anderen!
3. Umfeld festlegen
Erstellen einer Liste von fünf bis sieben Personen aus dem Umfeld, die eine Meinung zu den eigenen Führungsverhaltensweisen abgeben können. Hier kommt es auf eine gute Mischung aus Kritikern, neutralen Personen und „Fans“ an. Geeignet sind auch Personen unterschiedlicher hierarchischer Positionen, also Vorgesetzte, Peers und Mitarbeitende. Auch die Diversität dieser Personen sollte möglichst groß sein.
4. Verfahren erklären
Nun müssen die Personen kontaktiert und gefragt werden, ob sie als Beurteilende zur Verfügung stehen möchten. Danach geht es ans Erklären der Vorgehensweise: pointiert beurteilen, also Bewertungen am Rand der Skala (1 bis 10) und weniger in der Mitte.
5. Beurteilungen prüfen
Die Beurteilungen werden nun in das Raster mit den Führungsverhaltensweisen eingetragen und das Gesamtbild überprüft. Wichtig ist hier, nicht sofort auf mögliche schlechte Beurteilungen zu reagieren, sondern das Ergebnis erst einmal sacken zu lassen.
6. Diskrepanzen bewerten
Führungskräfte sollten sich bei diesem Schritt auf die größten Diskrepanzen von Eigen- und Fremdbild fokussieren:
- Welche drei Führungsverhaltensweisen weisen die größten Diskrepanzen auf?
- Gibt es ein verbindendes Thema?
- Wie sind die Beurteilungen verteilt?
- Gibt es eindeutige Tendenzen oder eine große Varianz?
- Worauf ist die Varianz zurückzuführen?
7. Beurteilende kontaktieren
Wenn Führungskräfte bestimmte Beurteilungen nicht nachvollziehen können, sollten sie die entsprechenden Personen fragen, wie die Beurteilung zustande gekommen ist. Allerdings nicht vorwurfsvoll, sondern mit echtem Interesse für die Wahrnehmung der anderen.
8. Beurteilenden danken
Zum Schluss sollten sich Führungskräfte für die Unterstützung mit einem kleinen Geschenk bedanken. Eine Karte, auf der sie mitteilen, was sie Neues über sich gelernt haben, rundet das Beurteilungsverfahren positiv ab.
Verhaltensweisen zur Ermittlung der Eigen- und Fremdeinschätzung einer Führungskraft
Die Eigen- und Fremdeinschätzung von Führungskräften wird anhand von unterschiedlichen Verhaltensweisen ermittelt. Mögliche Verhaltensweisen zur Bestimmung des Selbst- und Fremdbilds:
- Kommuniziert eine klare Vision und Ziele für die Abteilung oder das Unternehmen.
- Behandelt Personen im Umfeld mit Respekt.
- Sucht und bittet um Meinungen und Ideen, die nicht dem eigenen Standpunkt entsprechen.
- Bringt Wertschätzung in der täglichen Arbeit klar zum Ausdruck.
- Hört in Meetings und bei Gesprächen gut zu.
- Geht souverän und interessiert mit Kritik an seiner Person um.
- Demonstriert ehrliche, authentische und ethische Verhaltensweisen in allen Interaktionen.
- Steht mutig zur eigenen Meinung, auch wenn das Umfeld die Situation anders einschätzt.
- Verfügt über Know-how, Mitarbeiter in schwierigen Situation individuell zu unterstützen.
- Bringt Ideen und Vorschläge ein, die nicht nur den eigenen Verantwortungsbereich betreffen.
- Pflegt mit Peers und Vorgesetzten sachliche und adäquate Kontakte.
- Involviert Mitarbeiter und Peers effektiv in Entscheidungsprozesse.
- Fragt Mitarbeiter, was sie brauchen, um einen guten Job zu machen.
- Bildet, je nach Thema, tragfähige Koalitionen und Partnerschaften quer durch die Organisation über verschiedene Hierarchieebenen.