KaizenKaizen-Prinzip Gemba Walk
Worum geht es bei Gemba?
„Machen Sie sich selbst ein Bild!“ Das ist der Kerngedanke von Gemba oder Gemba Walk. Wer eine Sache wirklich verstehen will, muss sie sich aus unterschiedlichen Perspektiven, live und vor Ort anschauen. Nur so werden:
- Abläufe besser verstanden,
- Fehlerursachen identifiziert,
- Probleme wirklich gelöst und
- Möglichkeiten zur Verbesserung erkannt.
Wer abseits des Geschehens nur Berichte liest, Zahlen auswertet oder Diagramme betrachtet, versteht nicht, was in der Realität oder im Detail passiert und was dahintersteckt.
Der japanische Begriff Gemba bedeutet: „der eigentliche Ort“. Damit wird ein wichtiger Bestandteil des Toyota-Produktionssystems und der Lean Production bezeichnet. Die Verantwortlichen im Unternehmen, das Management, müssen sich ein eigenes Bild von einem Sachverhalt machen und dazu persönlich an den jeweiligen Ort gehen.
Deshalb spricht man auch von „Gemba Walk“ oder vom „Management by Walking Around“. Manche Manager gehen mehrmals täglich durch die Arbeitsbereiche, für die sie verantwortlich sind. Mindestens einmal pro Woche sollte eine Begehung stattfinden.
Wie funktioniert Gemba?
Machen Sie Gemba zu einem Prinzip in Ihrem Unternehmen. Erklären Sie, dass alle Managerinnen und Manager und alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter „an den Ort des Geschehens“ müssen, um sich persönlich ein Bild zu machen. Erst dann können fundierte Entscheidungen getroffen werden.
Erklären Sie die Mitarbeitenden vor Ort, dass der Besuch vom Management nichts Außergewöhnliches ist und nicht der Leistungskontrolle dient. Vielmehr geht es um Problemlösungen und Verbesserungen. Entsprechend sollten Mitarbeitende informiert werden und eine Nachricht erhalten, dass jemand aus dem Management (gleich) kommen wird.
Gemba Walk durchführen
Der Gemba Walk läuft folgendermaßen ab:
- Sie informieren die Mitarbeitenden vor Ort, dass Sie sich ein persönliches Bild machen wollen: „Wir kommen vorbei und schauen uns das an.“
- Vor Ort beobachten Sie zunächst nur: Was passiert hier? Beobachten Sie Abläufe, Tätigkeiten, Ereignisse, Ergebnisse, Sachverhalte, wie sie immer ablaufen und üblich sind.
- Dann lassen Sie sich den jeweiligen Sachverhalt von den Mitarbeitenden vor Ort genau zeigen und erklären.
- Sie machen sich Notizen, fotografieren, prüfen oder messen, was genau passiert?
- Wenn Sie etwas nicht verstehen, fragen Sie bei den Mitarbeitenden nach.
- Betrachten Sie auch das Arbeitsumfeld, den Raum, den Arbeitsplatz sowie Lager, Dokumente, Betriebsmittel etc.
- Sie bewerten nicht, was Sie sehen und was Sie erfahren.
- Sie vergleichen Ihre Beobachtungen und die Ergebnisse der Gespräche mit vorhandenen Plänen, Unterlagen, Messungen oder anderen Daten und Informationen.
- Anschließend werten Sie Ihre Beobachtungen aus und …
- … erstellen einen Maßnahmenplan – idealerweise wieder mit den Mitarbeitenden vor Ort.
Mit Ihren Beobachtungen, Gesprächen, Notizen und Überlegungen finden Sie heraus:
- Was sind die genauen Ursachen (für ein Problem oder Ereignis)?
- Welche Informationen fehlen noch, um die Ereignisse wirklich zu verstehen?
- Welche Lösungsmöglichkeiten gibt es?
- Wie kann eine Lösung am besten umgesetzt werden?
- Was genau ist sofort oder als Nächstes zu tun?
- Woran kann erkannt werden, ob die neue Lösung eine Verbesserung bringt?
- Wann muss das Ergebnis überprüft werden?
Bringen Sie sich auch in der Umsetzung des Maßnahmenplans – wenn möglich – ein und beobachten Sie wieder vor Ort, was passiert: Verbessert sich die Situation? Taucht der Fehler weiterhin auf?
Falls nein: Klären Sie, was Sie nun noch tun können oder müssen, um das Problem zu lösen. Passen Sie die Maßnahmen an. Beobachten Sie wieder, was passiert.
Wenn es besser wird – das nächste Gemba-Thema kommt bestimmt.
Ziele von Gemba Walk
Das Ergebnis beim Gemba Walk ist immer ein Maßnahmenplan. Dieser zielt darauf, Verschwendung zu vermeiden, festgestellte Mängel zu beseitigen oder (weitere) Verbesserungen am Ort des Geschehens zu erreichen.
Setzen Sie diese Maßnahmen gemeinsam mit den Betroffenen vor Ort um. Machen Sie also immer die Mitarbeitenden vor Ort zu Beteiligten der Lösung und des Verbesserungsprozesses.
Gemba als Zeichen der Wertschätzung
Wenn Managerinnen und Manager persönlich den Ort des Geschehens aufsuchen und mit den Mitarbeitenden dort sprechen, ist das auch ein Zeichen der Wertschätzung für die Arbeit und die Leistungen der Mitarbeitenden. Diese erkennen, dass sie wahrgenommen werden und dass sich jemand um die Lösung der Probleme (gemeinsam mit ihnen) kümmert.
Dieses Vorgehen beim Gemba Walk dient der kontinuierlichen Verbesserung. Es ist vergleichbar mit dem PDCA-Zyklus, wie er aus dem Qualitätsmanagement bekannt ist. Ziel ist auch beim Gemba Walk:
- Plane geeignete Maßnahmen,
- setze sie um,
- überprüfe Verbesserungen und
- ändere, was (noch) nicht funktioniert.
Mit Gemba geht es oft um die Standardisierung von Prozesse, Tätigkeiten, Verrichtungen, Ressourcen, Verhaltensweisen oder Methoden. Alles soll zuverlässig und störungsfrei nach Plan ablaufen oder eingesetzt werden.
Was ebenfalls erreicht werden soll: mehr Arbeitsschutz für die Beschäftigten. Auch die Gefährdungsbeurteilung, wie sie vom Arbeitsschutz gefordert wird, ist eine Begutachtung vor Ort. Ziel ist, dass weniger Unfälle passieren.
Letztlich soll Gemba dazu führen, dass die klassischen Ziele in der Produktion und anderen Bereichen besser erreicht werden. Das bedeutet: Kosten senken, bessere Qualität erzielen, Zeit sparen. Das steigert die Produktivität und die Wirtschaftlichkeit.
Wo wird Gemba eingesetzt?
Gemba richtet sich vor allem an Ingenieurinnen und Ingenieure und an das Management aus den Planungsabteilungen, aus der Produktentwicklung, dem Qualitätsmanagement, der Betriebsmittelplanung oder aus dem Einkauf. Sie sitzen normalerweise in ihren Büros und studieren Akten und Berichte.
Ursprünglich bezog sich Gemba auf die Produktionsprozesse eines Unternehmens, also auf Fertigung, Montage, Lagerhaltung und Transport. Dort werden entsprechende technische Einrichtungen und Verrichtungen beobachtet.
Das Prinzip Gemba kann genauso in vielen anderen Bereichen eingesetzt werden. Zum Beispiel im Verkauf am Point of Sale. Hier lässt sich die Interaktion zwischen Kunde und Verkaufspersonal beobachten. Wie kompetent wird beraten? Wie freundlich ist das Verkaufspersonal? Welche Hilfsmittel werden eingesetzt?
Weitere Anwendungsbereiche für Gemba sind:
- Kundenservice
- Telefonhotline
- Kantine
- Empfangsbereich
- Schulungen
- Webseite
- Online-Shop
- Firmenauftritte in sozialen Netzwerken
Beim Arbeitsschutz basiert die verpflichtende Gefährdungsbeurteilung aller Einrichtungen und Arbeitsplätze im Unternehmen ebenfalls auf dem Gemba-Prinzip. Denn mögliche Gefahren werden nur vor Ort wirklich identifiziert.
Beispiele für einen Gemba Walk
Wenn das Prinzip Gemba im Unternehmen und im Management verankert ist, kann es unterschiedliche Anlässe oder Gelegenheiten geben, um an den Ort des Geschehens zu gehen. Hier einige Beispiele:
Kennzahlen zu Nacharbeit signalisieren Probleme
Die verantwortliche Qualitätsingenieurin erhält wöchentlich einen Report mit den Zahlen, wie viele montierte Produkte nach der Qualitätskontrolle zur Nacharbeit müssen. Sie will den – nach ihrer Meinung – zu hohen Wert senken. Dazu geht sie vor Ort und schaut sich die entscheidenden Schritte in der Montageabteilung an.
Sie beobachtet in der Abteilung Nacharbeit, dass häufig Schrauben ausgetauscht werden müssen. In der Montagehalle sieht sie, dass die unterschiedlichen Schrauben am Arbeitsplatz direkt nebeneinander liegen und die Mitarbeitenden manchmal in den falschen Behälter greifen.
Deshalb bespricht die Qualitätsingenieurin mit den Mitarbeitenden der Montage: Wie erkennen die Mitarbeitenden sofort, wenn sie die falschen Schrauben verwenden? Wie lassen sich die Verwechslungen vermeiden?
Meldung der Mitarbeitenden in der Produktion
Ein Mitarbeiter aus der Produktion meldet, dass es häufig zu Störungen an einer Maschine kommt. Während der Bearbeitung von Teilen schaltet die Maschine aus.
Der zuständige Betriebsmittelplaner schaut sich die Sache vor Ort an. Der Mitarbeiter erläutert, was passiert. Gemeinsam schauen sie sich an, wie die Maschine nach einer Weile ausschaltet.
Beide machen sich gemeinsam auf die Suche nach der Ursache. Grundlage ist die 6W-Checkliste. Mit dem Ishikawa-Diagramm wird nach möglichen Fehlerquellen gesucht: Methode, Maschine, Material, Mensch. Mit der 5-Mal-Warum-Frage werden mögliche Ursachen hinterfragt.
Sie vermuten, dass ein Kühlmittel, das vor wenigen Wochen zum ersten Mal gekauft wurde, nicht richtig kühlt. Die Maschine wird heiß und schaltet aus.
Regelmäßige Begehung der Lagerplätze in der Produktion (Bereitstellungslager)
Der Werkleiter geht einmal pro Woche durch die Werkhallen und prüft, was an Materialien, Teilen, halbfertigen Produkten herumliegt. Insbesondere achtet er auf Teile, die auf ihre weitere Bearbeitung oder den Transport warten. Er prüft die Bestände, die Art der Lagerung und die Auftragspapiere.
Anschließend bespricht er mit der Teamleitung, warum bestimmte Teile in der Produktionshalle liegen und auf weitere Bearbeitung warten. Es zeigt sich, dass die Auftragsfreigabe für einige Teile zu früh erfolgt. Andere Teile werden aus dem Zwischenlager geholt, obwohl sie noch nicht gebraucht werden.
Mögliche Lösungen werden mit den Mitarbeitenden und mit der Auftragsplanung gemeinsam besprochen. Ad-hoch-Maßnahmen werden umgesetzt. Die Situation und mögliche Änderungen werden in den folgenden Wochen weiter vor Ort untersucht. Die Mitarbeitenden protokollieren die Ereignisse.
Häufige Kundenbeschwerden
Per E-Mail erhält die Geschäftsleitung immer wieder Beschwerden von Kunden, die sagen, sie seien an der Kundenhotline schlecht beraten und unhöflich behandelt worden.
Die Geschäftsleiterin persönlich setzt sich deshalb einen ganzen Tag in das Großraumbüro mit der Kundenhotline und hört den Telefongesprächen zu. Sie macht sich Notizen zu einzelnen Gesprächen und beobachtet die Mitarbeitenden bei ihren Kundengesprächen.
Sie erkennt, dass zu bestimmten Tageszeiten sehr viele Kunden anrufen und die Mitarbeitenden überlastet sind. Außerdem gibt es „schwierige Kunden“, die Mitarbeitende verbal angreifen, drohen oder beleidigen. Das erhöht den Stress bei den Betroffenen und führt bei weiteren Telefonanrufen zu ungeduldigem und unfreundlichen Verhalten.
In einem gemeinsamen Workshop mit den betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, der Teamleitung und der Geschäftsleitung werden Maßnahmen zur Verbesserung gesucht. Man plant, zu den Stoßzeiten drei weitere Stellen einzurichten und für „schwierige Kundengespräche“ ein spezielles Kommunikationstraining anzubieten.
Anwendung von Gemba klären
Klären Sie, inwiefern das Prinzip Gemba oder Gemba Walk in Ihrem Unternehmen bereits verankert sind und wie es gelebt wird:
- Welche Bereiche Ihres Unternehmens werden regelmäßig vor Ort geprüft oder begutachtet?
- Wer ist für diese Unternehmensbereiche laut Organigramm verantwortlich?
- Welche Mitarbeitenden aus dem Management begeben sich an den Ort des Geschehens?
- Wie beobachten und besprechen sie dort die jeweilige Situation?
- Welche Bedeutung haben die betroffenen Mitarbeitenden vor Ort dabei?
- Wie bewerten die Mitarbeitenden vor Ort diese Begehungen?
- Wie werden Maßnahmen zur Problemlösung oder zur Verbesserung besprochen und entwickelt?
- Was davon wird umgesetzt?
- Wie beurteilen das Management und die Mitarbeitenden vor Ort die Ergebnisse?
Machen Sie sich mithilfe der Antworten auf diese Frage ein Bild davon, wie Gemba in Ihrem Unternehmen bereits gelebt wird. Oder klären Sie: Wo und wie lässt sich das Prinzip Gemba in unserem Unternehmen einführen und nutzen?
Gemba vorbereiten
In einem gemeinsamen Workshop besprechen Sie:
- Was sind die Ziele von Gemba?
- Warum geht es nicht um Leistungs- oder Verhaltenskontrolle?
- Wer soll vor Ort gehen?
- Welche Aufgaben haben die Mitarbeitenden jeweils bei Gemba?
- Wovon hängt der Erfolg von Gemba ab?
- Was können die einzelnen Personen dazu beitragen?
Halten Sie die Ergebnisse Ihres Workshops fest und erstellen Sie dazu ein einfaches Regelwerk für Gemba in Ihrem Unternehmen.
Erstellen Sie außerdem ein Informationsblatt für die Mitarbeitenden vor Ort. Erklären Sie darin insbesondere:
- Besichtigungen vor Ort sind unbedingt erwünscht.
- Es geht nicht um Leistungs- oder Verhaltenskontrolle.
- Alle tragen zu Verbesserungen bei.
- Gemba verbessert die Arbeitsbedingungen und vereinfacht viele Dinge.
- Wir profitieren alle davon.
Gemba Walk durchführen
Nehmen Sie sich regelmäßig Zeit für den Gang zum Ort des Geschehens. Machen Sie den Gemba Walk zur Routine. Zum Beispiel: jeden Tag um 14 Uhr.
Der Rundgang sollte zwischen 15 und 30 Minuten dauern. Er kann länger dauern, wenn Sie Probleme erkennen und besprechen oder wenn Ihr Verantwortungsbereich entsprechend groß ist.
Zumindest einmal pro Woche sollten Sie alle Arbeitsplätze, für die Sie verantwortlich sind, besuchen und begutachten.
Planen Sie außerdem regelmäßige Besprechungstermine mit den Beschäftigten vor Ort. Besprechen Sie dort die Punkte, die Ihnen beim Gemba Walk aufgefallen sind. Erarbeiten Sie gemeinsam Lösungen und erstellen Sie einen Maßnahmenplan.
Nutzen Sie die folgende Checkliste, um alles, was Sie vor Ort erkennen, erfahren oder anderweitig wahrnehmen, zu notieren.
Werkzeuge für Gemba nutzen
Nutzen Sie dann vor Ort die klassischen Methoden aus dem Kaizen-Werkzeugkasten. Dazu zählen insbesondere:
- 5-Mal-Warum-Frage
- Ishikawa-Diagramm
- 6W-Checkliste mit den Fragen: wer, was, wo, wann, warum, wie