Holakratie (Holacracy)So funktioniert Holakratie (Holacracy)
Holakratie führt zu mehr Selbstorganisation im Unternehmen
Die Holakratie schafft Hierarchien nicht wirklich ab, tatsächlich existierten sie als Ordnungsprinzip in der sogenannten Purpose-Hierarchie weiter.
Jedoch werden Macht und Befugnisse vollständig delegiert. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter übernehmen Verantwortung und organisieren sich selbst.
Rollen und Kreise definieren
In der Holakratie füllen die Mitarbeitenden Rollen aus, die in Kreisen zusammengefasst werden. So kann es einen Produktionskreis geben, in dem Kolleginnen und Kollegen für Entwicklung, Personalplanung, Beschaffung und Lager tätig und verantwortlich sind. Die Kreise organisieren sich selbst und legen Zuständigkeiten fest.
Üblich ist, dass Mitarbeitende mehrere Rollen übernehmen und zu verschiedenen Kreisen gehören. Außerdem kann jeder Mitarbeiter Rollen wechseln oder ihm zugedachte Rollen ablehnen.
Kommunikation und Abstimmung in Kreisen
Damit die Kreise kommunizieren und sich abstimmen können, gibt es doppelte Verbindungen. Jeweils ein Vertreter und der Lead (Leiterin oder Leiter) eines Kreises werden in den nächsthöheren Kreis gesandt. So wird vermieden, dass der Lead eine zu starke Position einnehmen könnte und Kreismitglieder nicht gehört werden.
Besprechungen dienen der Abstimmung zwischen den Kreisen. Holakraten unterscheiden zwischen operativen Treffen, die Transparenz schaffen, und Steuerungsmeetings. Diese dienen dazu, Strukturen weiterzuentwickeln: Hier werden Zuständigkeiten verteilt, Kreise zusammengelegt und (neu) aufgeteilt.
Rollen und Kreise orientieren sich an ihrem Purpose
Jeder Kreis hat eine Struktur. So gibt es neben der Rolle des Moderators, die Repräsentanten des Kreises, die erwähnten Vertreter darüberliegender und darunterliegender Kreise sowie einen Schriftführer.
Kreise definieren sich über ihren Purpose oder Sinn, der gemeinsam entwickelt wird. Er kann zum Beispiel lauten: „Kollegen den Rücken freizuhalten“, für einen Stabskreis. Oder: „Exzellente Produkte zu entwickeln, die auf einer Plattform verfügbar sind“, als Sinn für den Kreis der Produktentwicklung.
Der Purpose (Sinn und Zweck) eines Kreises orientiert sich dabei immer an dem festgelegten Sinn des nächsthöheren. So zahlen alle Kreise auf den Purpose der Gesamtorganisation ein.
Holakratie in der Praxis: Widerstände und mögliche Nachteile
Immer mehr Start-ups, Mittelständler und sogar Konzerne sind gewillt, sich von hierarchischen Führungsformen zu verabschieden. Viele testen Organisationsmodelle, die auf Selbstverwaltung basieren.
Allerdings gibt es auch Widerstände. Als Gründe werden angeführt:
- Konkurrenzdenken verhindert vernetztes Handeln.
- Das Tagesgeschäft beansprucht zu viel Zeit.
- Die Mitarbeitenden akzeptieren die Veränderungen und das Mehr an Verantwortung nicht.
Solche Widerstände gab es auch bei der Einführung der Holakratie bei der Europace AG. Ausgangspunkt war folgende These: Eine Wissensunternehmung, in dem die Menschen das Wissen der Organisation halten, ist prädestiniert, um Hierarchien abzuschaffen und die Holakratie einzuführen. Denn wenn das Tagesgeschäft technische Innovation heißt, stören langatmige Hierarchien und aufwändige Abstimmungsschleifen.
Holakratie praktisch umsetzen
Auftakt für die selbstverwaltete Organisation bei Europace waren Leadership Days (LSD), zu denen das Mutterunternehmen, die Hypoport AG, eingeladen hatte. 2014 nahmen 80 Leute daran teil, ein Jahr später bereits 150. Inhalt dieser Leadership Days sind Impulsreferate externer Experten sowie Workshops, in denen hinterfragt wird, ob selbstverwaltete System überhaupt noch Vorgesetzte benötigen.
Ausgangspunkt war dabei die Frage nach dem Sinn der Unternehmung: Wofür braucht es Europace? „Wir verbinden Wünsche mit Banken“, ist die Antwort, die sich in den zurückliegenden drei Jahren als Sinn kristallisiert hat. Diesen verstehen alle Mitarbeitenden, an ihm können sie sich orientieren und wiederum Sinn für ihre eigenen Kreise finden.
Wege der Transformation zur Holakratie
Weil Europace eine bestehende Organisationsform hatte, galt es, nach dem Kick-off einen Weg der Transformation zu finden. Die Kreise mussten lernen, klassische Führungsaufgaben zu übernehmen. Denn: Führungskräfte wurden abgeschafft und deren Verantwortung in die Kreise gegeben.
So ersetzten Prozesse in den Teams (Kreise) bisherige Führungsaufgaben wie etwa die Gehaltsentwicklung, die strategische Ausrichtung eines Kreises, Weiterbildungsfragen oder die Entwicklung der Arbeitsorganisation.
Bedeutung von Rollen und Meetings
Einzelne Abteilungen und Teams experimentierten in der Folge mit Rollen und Meetings, von denen es zwei gibt.
- Tacticals: finden ein- bis zweiwöchig in den Kreisen statt. Besprochen werden ähnlich einem Scrum-Meeting die Wochenziele und mögliche Hindernisse. Hinzu kommen Projektstände und die nächsten Schritte. Es wird nur besprochen, was direkt mit dem Kreis zu tun hat.
- Governance: Diese Treffen finden alle ein bis drei Monate statt. Zweck dieser Meetings ist, Zuständigkeiten und Ziele der Rollen und des Kreises zu hinterfragen.
Hinzu kommen außerdem:
- Fokus-Meetings: Das sind Meetings zu bestimmten Themen, so wie sie in jedem Unternehmen abgehalten werden. Hier werden Aspekte behandelt, die nicht in die Tacticals und Governance-Meetings passen, sondern eher der Arbeitsorganisation zuzuschreiben sind. Es kommen die Rollen zusammen, die mit dem Thema zu tun haben oder durch ihre Expertise eine Lösung beisteuern können.
Mit der Zeit wurde deutlich: Die Meetings schaffen schnell Transparenz und dienen der Reflexion. Sie werden strukturierter und effektiver. Das gelingt, weil Mitarbeitende sich schnell und einfach an klaren Regeln für diese Meetings orientieren können und persönliche Befindlichkeiten entfallen.
So wächst ein ganz eigenes Wording. Die Kolleginnen und Kollegen sprechen sich im Meeting in ihren Rollen an: „Du in der Rolle Finanzen, was brauchst du, um Aufgabe XY übernehmen zu können?“
Spannungsbasiertes Arbeiten und Entscheiden
Etabliert hat sich zudem das spannungsbasierte Arbeiten und Entscheiden. Wenn Kolleginnen und Kollegen im Meeting etwas stört, sprechen sie es an: „Ich habe eine Spannung mit …“.
Die Rolle Facilitator greift den Einwand auf und fragt dessen Validität ab. Dabei wird auf die Erwachsenenhaltung gezielt: „Was benötigst du aus dem Kreis? Hast du dazu eine Idee?“ Der Kollege artikuliert, was er benötigt:
- weitere Informationen
- Reaktionen
- ein bilaterales Gespräch
Außerdem wird faktenorientiert geschaut, was einen Einwand trägt:
- Nimmt die Firma oder der Sinn des Kreises Schaden?
- Fehlt der betroffenen Person etwas?
- Ist die Person mit ihrem Einwand eingeschränkt?
- Was vermutet die Person, was passieren könnte?
Ziel ist, die „Testquote“ und damit die Innovationsfähigkeit zu erhöhen: Wenn etwas gut genug scheint, es auszuprobieren, wird es ausprobiert. Das ist der eigentliche, revolutionäre Gedanke der Holakratie für Europace.
Facilitator als Leiter eines Meetings
Die Rolle Facilitator führt durch die Meetings. Sie hilft, die konstruktive, wertschätzende und dialogische Art des Umgangs miteinander zu pflegen.
Dafür ist es wichtig, am Ende eines Meetings eine Klärungsrunde zu etablieren. „Clear The Air“ heißt das bei Europace. Jeder Kollege und jede Kollegin teilt mit, wie es ihm oder ihr im Meeting emotional ergangen ist. Wie persönliche Entscheidungen empfunden werden oder mit welchem Gefühl man aus dem Kreis tritt. Es gibt also bei allem technischen Standards einen Platz für Bedürfnisse und Wünsche.
Meeting-Teilnehmer bringen Fakten und Gefühle ein
Dieses scharfe Trennen von Fakten und Gefühlen ist für viele Menschen herausfordernd. Es bedarf eines hohen Maßes an Eigenwahrnehmung und Selbstreflexion. Größte Herausforderung dabei:
- Bei sich zu bleiben.
- Aus der Ich-Position zu sprechen.
- Verantwortung für Handeln und Gefühl zu übernehmen.
- Gesagtes sowie Gehörtes zu reflektieren, ohne es persönlich zu nehmen.
Klären Sie für Ihr Unternehmen, wie Sie vorgehen können und wollen, um Holakratie (Holocracy) als Selbstorganisation im Unternehmen einzuführen. Erarbeiten Sie dazu eine Vorstellung, wie Sie vorgehen und leiten Sie entsprechende Aufgaben und Schritte fest.
Ein entscheidendes Instrument für die Selbstorganisation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf allen Ebenen, in den Teams und in den Holakratie-Kreisen sind Meetings. Nutzen Sie für die Vorbereitung und Planung der Governance und Tactical Meetings diese Vorlagen.
Ein weiteres Werkzeug, das beim Ablauf dieser Meetings hilfreich sein kann, ist eine Checkliste zur Einwandbehandlung.
Stellen Sie sicher, dass die Vorteile und Möglichkeiten der holakratischen Organisation tatsächlich erschlossen und genutzt werden können – und haben Sie die Risiken, Gefahren und Einschränkungen im Auge. Mehr dazu lesen Sie im folgenden Abschnitt dieses Handbuch-Kapitels.