Welche Pflichten haben Führungskräfte gegenüber psychisch Erkrankten?

Sie sind als Führungskraft kein Therapeut und auch kein Berater. Dennoch ist es wichtig, im Sinne Ihres Unternehmens auf Anzeichen einer psychischen Störung bei Mitarbeitenden zeitnah und angemessen zu reagieren.

Wenn die Vermutung besteht, dass jemand psychisch erkrankt ist, sprechen Sie die betroffene Person bei einem separat anberaumten Termin darauf an. Auf diese Weise helfen Sie der erkrankten Person, das eigene Verhalten zu reflektieren. Das ist förderlich für die Krankheitseinsicht. Nur wer erkennt, dass er krank ist, kann sich Hilfe suchen.

Nicht immer sind Verhaltens- oder Wesensänderungen auf eine psychische Störung zurückzuführen. Gerade neue Mitarbeitende können Sie oftmals nur unzureichend einschätzen. Tauschen Sie sich in diesem Fall vertraulich mit der Geschäftsleitung aus, um das weitere Vorgehen zu besprechen.

Folgendes sollten Sie bei einer psychischen Erkrankung eines Beschäftigten vorbereiten und veranlassen:

  • Unterstützung bei der Suche nach Hilfe: Führungskräfte sollten ermutigen, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, wenn ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin psychische Gesundheitsprobleme hat. Sie sollte ihnen Informationen über Hilfsangebote und Programme zur Verfügung stellen.
  • Diskretion und Vertraulichkeit wahren: Führungskräfte müssen sicherstellen, dass alle Informationen über die psychische Gesundheit eines Mitarbeiters vertraulich behandelt werden. Diese Informationen dürfen nicht ohne Zustimmung des Mitarbeiters weitergegeben werden; es sei denn, es besteht eine rechtliche Verpflichtung dazu.
  • Arbeitsplatzanpassungen vornehmen: Wenn der Betroffene in Behandlung ist, sollten Führungskräfte dies unterstützen. Sie sollten bereit sein, angemessene Anpassungen am Arbeitsplatz vorzunehmen, um die Bedürfnisse psychisch erkrankter Mitarbeiter zu berücksichtigen. Dies kann Änderungen in den Arbeitszeiten, Aufgaben oder Arbeitsbedingungen umfassen.
  • Monitoring und Nachsorge betreiben: Führungskräfte sollten den Fortschritt und das Wohlbefinden psychisch erkrankter Mitarbeiter im Auge behalten und regelmäßige Gespräche führen, um sicherzustellen, dass die gebotene Unterstützung wirksam ist.
  • Gleichbehandlung sicherstellen: Psychisch erkrankte Mitarbeiter sollten genauso behandelt werden wie andere Mitarbeiter und dürfen keine Diskriminierung oder Benachteiligung erleiden, aber auch keine Bevorzugung bekommen.

Setzen Sie sich mit dem Thema psychische Erkrankungen am Arbeitsplatz ernsthaft auseinander, um Ihrer Fürsorgepflicht nachkommen zu können.

Woran erkennt man psychische Störungen am Arbeitsplatz?

Am häufigsten treten Angststörungen, Depressionen und Störungen aufgrund von Drogen- oder Alkoholabhängigkeit auf. Die folgenden typischen Anzeichen dafür sollten Sie kennen:

Angststörungen bei Mitarbeitenden erkennen

Zu den äußerlich erkennbaren Symptomen gehören:

  • Erröten: rote Wangen, geröteter Hals, hektische Flecken im Gesichts- und Halsbereich (beim Sprechen)
  • Zittern und Schwitzen: Hände zittern, häufig feuchte Stellen im Achselbereich, sichtbarer Schweiß im Gesichtsbereich, regelmäßiges Abwischen der Hände
  • Unruhe: hektische Bewegungen der Gliedmaßen und im Gesicht, häufiges Versprechen, kein ruhiges Sitzen möglich, übermäßiger Zigarettenkonsum
  • Schwindel und Herzrasen: nach Luft ringen, man muss sich häufiger „kurz hinlegen“, plötzliche und deutliche Blässe, Ohnmachtsanfälle

Weniger offensichtlich sind:

  • Schlafstörungen
  • Magen-Darm-Störungen
  • Herzrasen

Diese drei Symptome erkennen Sie nicht unmittelbar, doch die Auswirkungen sind deutlich: Mitarbeitende suchen etwa ungewöhnlich häufig das WC auf, wirken regelmäßig übermüdet, greifen sich während des Sprechens ans Herz oder wirken atemlos.

Mitarbeitende mit Angststörungen agieren außerdem unflexibel, reagieren schreckhaft, können sich schlecht konzentrieren und fühlen sich schnell überfordert.

Depressionen bei Mitarbeitenden erkennen

Im Kontext Beruf werden Sie bei depressiven Mitarbeitenden potenziell einige oder alle der folgenden Symptome feststellen:

  • Ehemals motivierte, aktive Personen ziehen sich merklich zurück.
  • Mimik, Gestik, Stimme und Gesagtes wirken im Zusammenspiel traurig, kraftlos oder niedergeschlagen.
  • Aufgaben werden nicht bis zum Ende ausgeführt.
  • Es kommt häufig zu Missverständnissen.
  • Es passieren mehr Fehler als früher.
  • Die betroffene Person ist häufig krank, kommt zu spät und verschiebt Termine.

Bevor Sie durch ein bestimmtes Verhalten Ihrer Mitarbeitenden Rückschlüsse auf deren psychischen Gesundheitszustand ziehen, sollten Sie zuerst prüfen:

  • Kenne ich die Mitarbeiterin oder den Mitarbeiter schon so lange, dass ich sein Verhalten eindeutig einordnen kann?
  • Handelt es sich lediglich um einen stark ausgeprägten Charakterzug (ruhig, introvertiert etc.) oder tatsächlich um Anzeichen für eine Depression?
  • Hat sich der Mitarbeiter früher anders verhalten?
  • Was genau hat sich verändert?
  • Und: Nehmen andere die Veränderung ebenfalls wahr?

Substanzmissbrauch und Süchte bei Mitarbeitenden erkennen

Die Abhängigkeit von Nikotin oder Süchte wie Spiel- und Kaufsucht laufen häufig im Verborgenen ab und wirken sich nicht immer (gravierend) auf die Arbeitsweise oder die Arbeitsergebnisse aus. Doch es gibt auch Verhaltensweisen, die Sie als Führungskraft erkennen können sollten, wenn Mitarbeitende Drogen nehmen, tablettensüchtig oder alkoholabhängig sind.

Abhängige Mitarbeitende reagieren häufiger

  • gereizt,
  • überfordert und
  • schreckhaft.

Zudem wird die Körperhygiene vernachlässigt und die Personen sprechen undeutlich. Der Alkoholgeruch ist häufig wahrnehmbar – zumindest aus nächster Nähe. Weitere Symptome sind:

  • Zittern
  • Erröten
  • Glasige Augen
  • Gewichtsverlust
  • fahle, blasse, gräuliche Haut
Tipp

Diagnose bleibt Privatsache

Befindet sich der Beschäftigte bereits in (psychotherapeutischer) Behandlung, fragen Sie ihn nicht nach seiner Diagnose. Diese Frage ist zwar theoretisch erlaubt, muss aber nicht beantwortet werden.

Bringen Sie den Mitarbeitenden gar nicht erst in eine Erklärungsnot, sondern überlassen Sie es ihm, die Diagnose zu nennen oder eben nicht.

Wie sprechen Sie psychisch kranke Mitarbeitende an?

Sprechen Sie Betroffene erst an, wenn Sie sich sicher sind, dass etwas nicht stimmt. Stellen Sie keine Diagnosen, sondern halten Sie Ihre Aussagen eher allgemein. Vereinbaren Sie hierzu einen Gesprächstermin, bei dem Sie Folgendes beachten:

  • Bieten Sie dem Betroffenen an, eine Vertrauensperson hinzuzuziehen.
  • Vereinbaren Sie einen kurzen Termin, um die Person nicht zu überfordern – eine halbe Stunde bis 60 Minuten reichen aus. Bei Bedarf wird ein Folgetermin vereinbart.
  • Halten Sie sich an die Vorgaben zur Schweigepflicht und zum Datenschutz.
  • Reflektieren Sie vor dem Gespräch: Haben Sie, das Unternehmen oder andere Mitarbeitende einen Anteil am schlechten psychischen Zustand des Betroffenen?
  • Wahren Sie die Distanz, um stets professionell zu bleiben. Reagieren Sie niemals emotional – weder durch Ihre Wortwahl („Wie schrecklich!“, „Das tut mir unendlich leid.“), noch durch Ihr Verhalten (Weinen, Schulterklopfen, Umarmen).
  • Legen Sie vorher fest: Was sind die Ziele, welches Ergebnis erwarten Sie sich von dem Gespräch?

Beim ersten Gespräch steht die Fürsorge im Mittelpunkt. Versuchen Sie herauszufinden, ob die Ursache für die psychische Störung im beruflichen Umfeld begründet liegt oder im privaten. Ist das Zweite der Fall, fordern Sie den Betroffenen auf, sich professionelle Hilfe zu suchen.

Das Gesagte sollte ausschließlich auf von Ihnen beobachteten, klar beschreibbaren Verhaltensweisen und erlebten Situationen beruhen. Dazu kann sich der psychisch erkrankte Mitarbeiter sachlich äußern; zu Übertreibungen oder Unterstellungen kann er das nicht.

Am Ende vereinbaren Sie, mit der Mitarbeiterin oder dem Mitarbeiter in Kontakt zu bleiben. Weitere Gespräche folgen, wenn professionelle Hilfe in Anspruch genommen wurde und die psychische Erkrankung behandelt wird. Verbessert oder verschlechtert sich der Zustand, suchen Sie erneut das Gespräch.

Machen Sie deutlich, dass Sie erwarten, dass sich der Betroffene um seine psychische Gesundheit kümmert. Verweisen Sie dazu auf interne und externe Anlaufstellen.

Sie finden im Praxisteil eine Liste mit möglichen Anlaufstellen und jeweils kurzen Beschreibungen. Suchen Sie aus der Liste passende Optionen aus oder händigen Sie dem Mitarbeiter die ganze Liste aus.

Beispiele: Erwartungen an psychisch kranke Mitarbeitende formulieren

Kommunizieren Sie gewünschte Verhaltensänderungen und gemeinsame Ziele klar und deutlich. Beispiele sind:

Beispiel 1: Rechtzeitig krankmelden

Wir möchten nicht mehr, dass Sie unentschuldigt fehlen oder sich erst später bei uns melden. Wenn Sie sich nicht in der Lage fühlen, zur Arbeit zu erscheinen, melden Sie sich gleich morgens telefonisch krank, damit wir Bescheid wissen und entsprechend planen können.

Beispiel 2: Unangemessenes Verhalten unterlassen

Unangemessene, zu stark emotional aufgeladene Aussagen oder Verhaltensweisen werden in diesem Unternehmen nicht toleriert. Sie sollten weder schreien noch beleidigen.

Wenn Sie sich zukünftig in einem Gespräch oder mit einer Situation überfordert fühlen, dann gehen Sie kurz nach draußen. Niemand wird Sie daran hindern oder nachfragen, warum Sie den Raum verlassen haben. Sie bleiben einfach so lange, bis Sie wieder ruhiger sind und sich erholt haben.

Beispiel 3: Probleme werden nicht versteckt

Wir setzen uns einmal pro Woche (oder alle zwei Wochen) zusammen, bei Bedarf gemeinsam mit einer Vertrauensperson, und Sie schildern Ihr Befinden. Falls es akute Probleme gibt, suchen wir gemeinsam nach einer Lösung.

Was tun, wenn sich das Verhalten des Mitarbeiters nicht ändert?

Wenn sich trotz der Gespräche und Ihrer Bemühungen nichts am Verhalten des Mitarbeiters mit der psychischen Störung ändert, handeln Sie wie folgt:

  • Benennen und beschreiben Sie die gewünschten Verhaltensänderungen noch einmal. Fragen Sie nach, ob sie verstanden wurden und der Betroffene bereit ist, etwas zu ändern.
  • Beschreiben Sie, dass und auf welche Weise Kolleginnen und Kollegen durch das Verhalten belastet werden.
  • Erläutern Sie, dass und warum der Betroffene selbst dafür verantwortlich ist, seine psychische Störung behandeln und sich beraten zu lassen.
  • Motivieren Sie den Mitarbeiter, so weiterzumachen, wenn sie bereits positive Verhaltensänderungen oder zumindest Bemühungen seinerseits erkennen.
  • Fragen Sie nach, ob der Betriebsrat, die Personalabteilung, der betriebsärztliche Dienst oder eine Sozialberatung zu weiteren Gesprächen hinzugezogen werden sollen.

Verhaltensregeln besprechen und festlegen

Besonders wichtig ist, dass Sie klare Regeln zum Verhalten und zur Zusammenarbeit im Betrieb vereinbaren oder vorgeben. Gerade bei Suchterkrankungen darf es keinen Schutzraum für die Betroffenen geben, da sie ansonsten an ihrer Situation und damit an ihrem Verhalten nichts ändern. Auf Dauer kann das zulasten des Teams und des Unternehmens gehen.

Teilen Sie deshalb unmissverständlich mit, welche Regeln einzuhalten sind und was bei einem Regelverstoß droht. Bieten Sie gleichzeitig aber auch Hilfe an, die Regeln einzuhalten.

Beispiel: Regeln bei Alkoholsucht

Ein Mitarbeiter kommt wegen seiner Alkoholsucht immer wieder zu spät. Sie vereinbaren die Regel, dass der Mitarbeiter um 8:00 Uhr zur Arbeit zu erscheinen hat. Kommt es zu einem Verstoß, wird dies dokumentiert und beim dritten Verstoß erfolgt eine Abmahnung.

Wenn der Betroffene in Therapie ist und aus guten Gründen darum bittet, dass seine Arbeitszeit um 9:00 Uhr beginnt, können Sie dies gewähren.

Wie funktioniert Betriebliches Eingliederungsmanagement bei psychischen Störungen?

Das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) ist im Sozialgesetzbuch IX, § 167 Prävention eindeutig geregelt.

Arbeitgeber sind verpflichtet, Mitarbeitenden ein BEM-Verfahren anzubieten, wenn diese insgesamt sechs Wochen (oder länger) im letzten Jahr krank waren. Wie genau dieses Verfahren umgesetzt wird, entscheidet das Unternehmen. Hierzu gibt es keine gesetzliche Vorgabe. Ziel ist in jedem Fall die dauerhafte Wiedereingliederung.

Der psychisch erkrankte Mitarbeiter kann die Teilnahme am BEM-Verfahren ablehnen. Ein Wiedereingliederungsgespräch vereinbaren Sie trotzdem und unabhängig davon.

Klären Sie:

  • Kehrt der Betroffene an seinen alten Arbeitsplatz zurück?
  • Nimmt er eine andere Tätigkeit auf?
  • Möchte er in Teilzeit arbeiten?
  • Sind Weiterbildungsmaßnahmen erforderlich?

Wer am BEM im Fall von psychischen Störungen von Mitarbeitenden beteiligt werden sollte, ist ebenfalls nicht gesetzlich festgelegt. In der Regel sind mindestens die Führungskraft und die Personalabteilung involviert. Große Unternehmen ziehen den Betriebsarzt, die Schwerbehindertenvertretung, den Betriebsrat oder die Fachkraft für Arbeitssicherheit hinzu.

Stufenweise Wiedereingliederung psychisch erkrankter Mitarbeitender

Wenn Beschäftigte sich aufgrund einer (behandelten) psychischen Störung nicht in der Lage fühlen, wieder in Vollzeit zu arbeiten, kommt die Stufenweise Wiedereingliederung in Betracht. Der Betroffene soll sich langfristig in der Lage fühlen, seine ursprüngliche Arbeitsbelastbarkeit wiederzuerlangen.

Die stufenweise Wiedereingliederung zeichnet sich aus durch die folgenden beiden Merkmale:

  • Sie findet unter ärztlicher Aufsicht statt.
  • Sie wird stufenweise umgesetzt, innerhalb eines Zeitraums von sechs Wochen bis zu sechs Monaten.
Praxis

Psychische Störungen am Arbeitsplatz: Anlaufstellen

In dieser Liste finden Sie mögliche Anlaufstellen, die Sie Ihren Mitarbeitenden mit psychischen Störungen empfehlen können. Sie finden zu jeder Anlaufstelle eine kurze Beschreibung, um die Relevanz für Ihren individuellen Fall einzuschätzen.

Psychische Belastung am Arbeitsplatz erfassen

Verschaffen Sie sich mit diesem Fragebogen einen Überblick über die psychische Belastung am Arbeitsplatz in Ihrem Unternehmen. Nach der Auswertung leiten Sie Maßnahmen ab, um negativen Folgen vorzubeugen.

Rückkehrgespräch führen

Nutzen Sie diese Vorlage, um sich auf Rückkehr- und Fehlzeitengespräche nach einer psychischen Erkrankung von Mitarbeitenden vorzubereiten und sie durchzuführen. Halten Sie fest, was Sie im Einzelnen sagen wollen oder tun müssen und worauf Sie achten sollten.

Wiedereingliederung durchführen

Planen Sie mit dieser Vorlage Maßnahmen, um Mitarbeitende nach längerer Abwesenheit wegen einer psychischen Störung wieder einzugliedern.

Dazu im Management-Handbuch

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