Preise sind emotional und wirken situativ

Nur wenige Kunden kaufen Produkte ausschließlich nach rationalen Kriterien. Oft spielen emotionale Faktoren eine wichtige Rolle. Auch der Preis eines Produkts wirkt – bewusst und unbewusst – auf die Emotionen der Menschen und der Käufer. Im Rahmen des Neuromarketings, der Preispsychologie oder des sogenannten Behavioral Pricing wurden in den letzten Jahren zahlreiche Effekte erkannt, die von Preisen und Preisschildern ausgelöst werden. Sie führen dazu, dass mehr oder weniger von einem Produkt gekauft wird.

Während mit der Preis-Absatz-Funktion nur ermittelt wird, wie sich eine Preisänderung auf den Absatz des Produkts quantitativ auswirkt, will die Forschung zur Preiswirkung genauer ermitteln, warum Kunden auf eine Preisauszeichnung so reagieren, wie sie reagieren. Das hängt vor allem davon ab, was Kunden über Preise gelernt haben, wie sie die Preise wahrnehmen und in welcher Situation sie sich gerade befinden. Die Ergebnisse geben Antworten auf Fragen wie zum Beispiel:

  • Wie sollen Preise kommuniziert werden?
  • Welche Effekte haben Sonderangebote?
  • Welche Wirkung haben einheitliche Preise gegenüber differenzierten Preisen?
  • Welche Preisauszeichnung hat die stärkste Anziehungskraft?

Vor, während und nach dem Kauf entwickelt der Kunde seine Beziehung zum Preis eines Produkts. Er lernt in diesem Prozess, wie er einen Preis beurteilen soll – konkret für ein Produkt, dann für die gesamte Produktkategorie und schließlich allgemein für sein Kaufverhalten. Das Preiswissen, das der Kunde so erwirbt, beeinflusst maßgeblich seine aktuellen und künftigen Kaufentscheidungen. Wenn bekannt ist, welche Faktoren dabei wichtig sind, lässt sich dies durch den Anbieter für die Preisgestaltung und Preiskommunikation gezielt nutzen.

Preislernen in der Vorkaufphase

Noch bevor ein Kunde ein Produkt kauft, sind die folgenden Einstellungen und Wahrnehmungen zu Produkten und ihren Preisen von Bedeutung:

Preiserlebnis und Preisemotion

Das Preiserlebnis und die Preisemotion beschreiben die Einstellung eines Kunden zum Preis. Beide Faktoren zeigen auf, was der Kunde allgemein über Preise weiß und was er von ihnen hält. Sie sind die Basis dafür, welche Gefühle ein bestimmter Preis beim Kunden erzeugen kann. Mit diesem Gefühl kann ein Kunde aktiviert werden, um den Kauf des Produkts in Betracht zu ziehen.

Preispräferenz

Die Preispräferenz drückt aus, welche Preiserwartungen der Kunde hat – unabhängig davon, um welches Produkt es geht. Manche Kunden schauen nur auf den Preis, und der soll möglichst niedrig sein. In Verhandlungen erwarten sie einen Rabatt von mindestens X Prozent. Oder der Kunde reagiert besonders sensibel auf Sonderangebote und wartet mit dem Kauf immer darauf, dass der Preis reduziert wird (Schnäppchenjäger).

Preisinteresse

Ein Preisinteresse zeigt der Kunde dann, wenn er sich gezielt über den Preis eines bestimmten Produkts informieren will und diesen mit anderen Leistungsmerkmalen dieses Produkts und mit den Angeboten der Wettbewerber vergleicht.

Preiswahrnehmung

Dann kommt es zur Preiswahrnehmung im konkreten Fall. Der Kunde sieht das Preisschild oder liest die Preise in einem schriftlichen Angebot. Das erfolgt in einem Prozess des Sehens eines Preises und der kognitiven Verarbeitung. Der Kunde wandelt die Ziffernfolge auf einem Preisschild oder die Aussage des Verkäufers in ein Muster um, das Grundlage für seine Beurteilung und Preisbewertung ist.

Preislernen in der Kaufphase

Wenn der Kunde ein Preisangebot oder Preisschild wahrgenommen hat, beginnt die Kaufphase. Hier prüft er den im konkreten Fall angebotenen Preis noch einmal genau.

Preisbeurteilung

Die Preisbeurteilung erfolgt nach der Preiswahrnehmung. Der Kunde beurteilt Preis und Leistung und leitet daraus ab, ob er das Produkt als preisgünstig, preiswürdig, teuer oder zu teuer beurteilt.

Preisbereitschaft

Mit der Preisbereitschaft drücken Kunden in der jeweiligen Kaufsituation aus, was sie bereit sind, für ein Produkt zu bezahlen. Das kann ein absoluter Preis oder eine Preisspanne sein: „Für dieses Produkt würde ich zwischen 100 und 150 Euro ausgeben“. Die Kunden zeigen, ob Sie den ausgezeichneten Preis akzeptieren. Dabei kommt es auch auf die jeweilige Kaufsituation aus Sicht des Kunden an: In der Eile und bei großer Hitze und Durst bezahlt ein Kunde für eine Flasche Wasser am Bahnhof deutlich mehr, als beim Wocheneinkauf im Supermarkt.

Preiszufriedenheit

Mit der Preiszufriedenheit sagt der Kunde, ob die Preiserwartung mit dem tatsächlichen Preis übereinstimmt. Hat sich der Kunde für das Produkt entschieden, obwohl der Preis (etwas) über seiner maximalen Zahlungsbereitschaft lag, bleibt ein ungutes Gefühl, das er mit dieser Marke und diesem Produkt verbindet. Hat er deutlich weniger bezahlt, hat er das gute Gefühl, ein Schnäppchen gemacht zu haben. Diese Preiszufriedenheit wirkt unmittelbar nach dem Kauf weiter und beeinflusst die sogenannte Kaufreue.

Preisvertrauen und Preisfairness

Preisvertrauen und Preisfairness drücken aus, ob der Kunde dem Anbieter vertraut, dass er ihn mit dem verlangten Preis nicht übers Ohr haut – weil dem Kunden Informationen fehlen, um die tatsächlichen Leistungen des Produkts beurteilen zu können.

Preislernen in der Nachkaufphase

In der Nachkaufphase festigt sich das Preiswissen des Kunden, das er um die Erfahrungen der gerade erlebten Kaufphase und der Preisbewertung erweitert. Dazu gehören:

Preiserfahrungen

Preiserfahrungen sammeln bedeutet, dass Kunden im Laufe der Zeit immer mehr über den Preis einer bestimmten Produktkategorie lernen. Durch Beobachtungen und Erfahrungen mit Anbietern können sie Preise besser vergleichen und einschätzen. Dabei muss die Einschätzung nicht immer richtig sein; aber sie verankert sich fest im Bewusstsein des Kunden. Oft sind damit generalisierte Meinungen verbunden wie: „Aldi ist der preisgünstigste“ (auch wenn das nicht unbedingt stimmt).

Preiswissen

Mit dem Preiswissen werden alle Informationen zusammengefasst, die Kunden über ein Produkt oder einen Markt haben und bei Kaufentscheidungen nutzen. Sie wissen beispielsweise, was ein Produkt beim günstigsten oder bei ihrem Anbieter kostet. Hier kann es aber zu Erinnerungsfehlern kommen.

Um ein differenziertes Preismanagement zu betreiben, ist es hilfreich, möglichst viel über das Verhalten seiner Kunden in Bezug zum Preis und in den einzelnen Kaufphasen zu wissen. Daraus lassen sich Ansatzpunkte für mögliche Preisanpassungen oder Preisdifferenzierungen sowie für die Beschleunigung von Kaufprozessen gewinnen.

Preisauszeichnungen und Preiswahrnehmung

Eine besondere Rolle im Neuromarketing spielt der Prozessschritt der Preiswahrnehmung. Damit ist der Teilprozess des Sehens eines Preises und der kognitiven Verarbeitung gemeint. Der Kunde wandelt die Ziffernfolge auf einem Preisschild oder in einem Angebot oder die Aussage des Verkäufers in ein Muster um, das Grundlage für seine Beurteilung ist. Dabei kann es unterschiedliche Effekte geben:

  • Preisschwelleneffekt meint die starke Änderung des Kaufverhaltens bei einer bestimmten Preisschwelle wie 10,00 Euro statt 9,95 Euro.
  • Preisfiguren wie 444 Euro oder 555 Euro rufen beim Kunden besondere Aufmerksamkeit hervor.
  • Eckartikeleffekte bedeuten, dass Kunden den Preis von bestimmten Artikeln genau betrachten und daraus auf das Preisniveau des gesamten Angebots schließen.
  • Tendenz zur Mitte bedeutet, dass Kunden aus einem Angebot mit mehreren Produkten und unterschiedlichen Preisen oft das auswählen, das preislich in der Mitte liegt; das passiert vor allem dann, wenn der Kunde nicht richtig beurteilen kann, welches Preis-Leistungs-Verhältnis er erwarten kann.
  • Sortimentseffekte ergeben sich, wenn der Anbieter den Kunden unterschiedliche Produkte anbietet. Die Kunden vergleichen die Angebote und wählen das für sie „günstig“ erscheinende. Wenn auf einer Speisekarte zwei Menüs zu 30 und 40 Euro angeboten werden, greifen viele zur günstigen Variante. Gibt es zusätzlich ein 50 Euro Menü, dann steigt der Anteil der Personen, die das 40 Euro-Menü wählen.
  • Deal Effect, Schnäppcheneffekt oder „Magie der Null“ bezeichnen Effekte, die sich aus folgendem Phänomen ergeben: Eine Bank bietet ein Konto an für 1,00 Euro pro Monat. Außerdem gibt es dieses Konto in der Variante mit Kreditkarte für 2,50 Euro. Nur 60 Prozent der Kunden wählt diese Variante mit Kreditkarte. Dann bietet die Bank drei Varianten an: Girokonto: 1,00 Euro, Kreditkarte: 2,50 Euro, Girokonto plus Kreditkarte: 2,50 Euro. Nun entscheiden sich über 80 Prozent der Kunden für die teure Variante. Die Kunden meinen, ein Schnäppchen gemacht zu haben.
  • Preisfärbungseffekte sind Zusätze zu Preisen, die die Wahrnehmung des Kunden beeinflussen; etwa „Preisknüller“, „nur diese Woche“ etc.
  • Preisankereffekte ergeben sich dann, wenn Kunden einen Vergleichspreis nutzen, um die Höhe des aktuellen Preises einzuschätzen; wenn beispielsweise kurz vor der Preiswahrnehmung eine höhere Zahl wahrgenommen wird, erscheint der Preis niedriger (Beispiel: auf einem Preisschild: „1000-fach bewährt und jetzt nur 95,50 Euro“ gegenüber: „1-malig jetzt nur 95,50 Euro“).

Markenstärke nutzen

In der Marke für das Produkt oder das Unternehmen bündeln sich viele rationale und emotionale Werte des Kunden. Sie beeinflussen das Kaufverhalten erheblich. Das hat auch Auswirkungen auf die Möglichkeiten zur Preisgestaltung. Eine starke Marke schafft im Vergleich zur schwachen Marke (des Wettbewerbs) eine hohe Kundenbindung und eine höhere Zahlungsbereitschaft. Dabei werden zwei Effekte unterschieden, die in Abbildung 8 im Modell der Preis-Absatz-Funktion dargestellt sind:

Mengeneffekt: Eine starke Marke gewinnt bei gleichem Preis gegenüber Wettbewerbern mehr Marktanteil, hat also einen größeren Absatz.

Preiseffekt: Eine starke Marke kann einen höheren Kaufpreis ansetzen und hat trotzdem (mindestens) den gleichen Absatz wie Wettbewerber mit einer schwachen Marke.

Beide Effekte können auch gemeinsam wirken.

Abbildung 8: Einfluss der Markenstärke auf den Preisspielraum

Mit den Ergebnissen aus der Verhaltensforschung, der Preispsychologie und dem Neuro-Pricing ergeben sich viele spannende Einsichten und Erkenntnisse über die Wirkung von Preisen. Das Unternehmen kann daraus zahlreiche Möglichkeiten zur Preisgestaltung ableiten und diese im Rahmen der taktischen und operativen Preisfestlegung, Preisauszeichnung oder bei Preisverhandlungen nutzen.

Praxis

Prüfen Sie:

  • Was weiß der Kunde über Ihre Preise?
  • Wie nimmt er diese wahr?
  • Wovon hängen Preiswahrnehmung, Preisbeurteilung, Zahlungsbereitschaft, Preiszufriedenheit etc. ab?

Stellen Sie zusammen, was Sie über die Preiswahrnehmung und Preisbeurteilungen Ihrer Kunden wissen. Wo sehen Sie Ansatzpunkte für Preisanpassungen oder Preisdifferenzierungen? Nutzen Sie die folgende Vorlage, um alle entsprechenden Informationen zu sammeln und auszuwerten.

Mit den Erkenntnissen aus der Preis-Absatz-Funktion und dem tatsächlichen Kaufverhalten, das eine bestimmte Preis- und Sortimentsgestaltung bewirken, lassen sich nun zahlreiche taktische und operative Maßnahmen der Preisgestaltung und des Preismanagements ableiten. Einige davon werden im folgenden Abschnitt des Handbuch-Kapitels vorgestellt und erläutert.

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