Working Capital ManagementProzesse mit Working Capital Management optimieren
Prozesse identifizieren und beschreiben
Um das Optimierungspotenzial im Bereich des Working Capital zu identifizieren, müssen die relevanten Prozesse im Detail betrachtet werden. Die folgende Abbildung 3 zeigt eine idealtypische Wertschöpfungskette mit den Hauptprozessschritten im Unternehmen. In diesen Prozessen stecken die Potenziale, die es mit Working Capital Management zu heben gilt. Dazu müssen Sie die für Ihr Unternehmen wichtigen Prozesse und Teilprozesse zunächst identifizieren.
Einzelne Prozessschritte im Hinblick auf das Working Capital analysieren
Im nächsten Schritt beschreiben Sie einzelne Prozessschritte, die für das Working Capital Management relevant sind. Sie gehen in die Details und klären, welche Tätigkeiten und Aufgaben dort erfüllt werden. Dabei kommt es insbesondere auf die Zeitdauern für die Aufgaben und Tätigkeiten an, die für die Kapitalbindung besonders relevant sind. Das sind:
- Bearbeitungszeiten
- Wartezeiten
- Liege- oder Lagerzeiten
Schließlich analysieren Sie im dritten Schritt, ob Sie die relevanten Zeitdauern verringern können, ob die betroffenen Aufgaben schneller erledigt werden können oder ob die Teilprozesse anders angeordnet, besser aufeinander abgestimmt oder durch Digitalisierung und Automatisierung beschleunigt werden können. Damit haben Sie die wichtigen Stellhebel identifiziert, über die die Höhe des Working Capital besonders beeinflusst wird. Abbildung 4 zeigt mögliche Ansatzpunkte für solche Prozessverbesserungen in der Übersicht.
Ziele bei der Prozessoptimierung
Das Ideal eines Unternehmens sollte sein, ein Produkt zu verkaufen, das sofort und ohne Lagerung von Material und Teilen hergestellt und ausgeliefert werden kann. Der Kunde bezahlt prompt und mit diesem Geld werden die Verbindlichkeiten gegenüber den Lieferanten beglichen. Ein Prozess, der wenig Working Capital in Anspruch nimmt.
In der Realität dürfte ein solcher Prozess nur selten vorkommen. Aber es gibt Methoden und Werkzeuge, um sich einem solchen Ideal anzunähern. Wichtig ist dabei, dass die einzelnen Prozessschritte, die Verfahren und Verfahrensanweisungen sowie die Rahmenbedingungen genau analysiert werden. Es geht darum, nicht die Symptome zu bekämpfen, sondern den Ursachen für lange Bearbeitungszeiten und hohe Lagerbestände auf die Spur zu kommen. Oft geht es beim Working Capital Management um Details in einzelnen Teilprozessen oder Aufgaben. Beispiel: Wird der Kunde 10 Tage nach Fälligkeit der Rechnung gemahnt oder erst nach 30 Tagen?
Aber: Durch Optimierungen auf operativer Ebene dürfen strategische Ziele nicht untergraben werden. Bevor Maßnahmen zur Reduzierung des Working Capital durchgeführt werden, muss eine Risikoanalyse erfolgen: Gibt es strategische Ziele, die von der Umsetzung der Maßnahmen betroffen sind und die gefährdet sind? Kurzfristige Verbesserungen können langfristig Schäden verursachen.
Mit Kennzahlen zum Working Capital Management Potenziale erkennen
Kennzahlen sind hilfreich, um die Qualität des Working Capital Managements zu bewerten und zu verbessern. Die zeitliche Ablaufbeschreibung in Abbildung 5 macht sichtbar, welche Kennzahlen dabei wichtig sind.
Folgende Kennzahlen sind für das Working Capital Management entscheidend:
Days Payables Outstanding (DPO) / Days in Payable (DIP)
Durchschnittliche Anzahl der Tage, bis die Rechnung eines Lieferanten bezahlt wird. Diese Kennzahl wird auch als Kreditorenlaufzeit oder Lieferantenzahlungsziel bezeichnet. Sie stellt die Lieferantenkreditdauer in Tagen dar.
DPO oder DPI =
durchschnittlicher Bestand an Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen
× 365
/ Herstellkosten der verkauften Güter
Days Inventory Held (DIH) / Days in Inventory (DII)
Durchschnittliche Anzahl der Tage, die ein zugekauftes Material oder Teil im Unternehmen verbringt, bis es in der Form eines Endprodukts an den Kunden ausgeliefert wird; vergleichbare Kennzahlen sind auch die Lagerumschlaghäufigkeit oder die durchschnittliche Lagerreichweite in Tagen als Maß für die Höhe der Lagerbestände.
DIH oder DII =
durchschnittlicher Lagerbestand (Vorräte)
× 365
/ Herstellkosten der verkauften Güter
Days Sales Outstanding (DSO)
Durchschnittliche Anzahl Tage von Versand und Rechnungsstellung bis Bezahlung einer Kundenrechnung. Diese Kennzahl wird auch als Debitorenlaufzeit oder Kundenzahlungsziel bezeichnet. Sie stellt die Kundenkreditdauer in Tagen dar.
DSO =
durchschnittlicher Bestand an Forderungen aus Lieferungen und Leistungen
× 365
/ Umsatz
Neben diesen zeitbezogenen Kennzahlen sind auch die absoluten Größen des Lagerbestandes, der Forderungen und Verbindlichkeiten wichtige Kennzahlen. Diese können ins Verhältnis gesetzt werden zu Kennzahlen wie Umsatz, Gesamtkapital oder Bilanzsumme.
Um das genau messen zu können, lassen sich weitere Kennzahlen ermitteln und auswerten. Diese können sich beispielsweise auf geleistete oder erhaltene Anzahlungen beziehen, auf Durchlaufzeiten oder Liegezeiten in der Produktion, auf zu frühe Anlieferungen oder zu späte Produktabnahmen oder Freigabe durch Kunden.
Analyse der Kennzahlen
Die Kennzahlen können differenziert werden nach unterschiedlichen Rohstoffen, Materialien, Teilen, Baugruppen oder Produkten sowie nach Lieferanten und Kunden. Zudem können Sie Ihr Unternehmen mit anderen Unternehmen in derselben Branche oder mit ähnlichen strukturellen Merkmalen vergleichen – innerhalb verschiedener Teilbereiche des Unternehmens oder im Zeitverlauf. Sie zeigen mit diesen Kennzahlen und Vergleichen strukturbedingte Defizite auf. Wichtig ist, die Schwachstellen im Hinblick auf unnötige Kapitalbindung zu erkennen.
Wenn Sie diese spezifischen Kennzahlen im Zeitverlauf verfolgen, dann wird sichtbar, ob und wie gut es gelingt, diese Schwachstellen zu beheben. Die roten Pfeile in Abbildung 6 sollen zeigen, in welche Richtung sich die Kennzahlen entwickeln sollten, damit die Kapitalbindung verringert wird. So soll beispielsweise die Rechnung an Kunden möglichst schnell nach Auslieferung der Produkte geschrieben werden. Das setzt voraus, dass der Kunde die Produkte ebenso schnell abnimmt.
Mit der ABC-Analyse kritische Schwachstellen identifizieren
Mit der ABC-Analyse erkennen Sie, wo Sie vor allem ansetzen sollten, um die Kapitalbindung zu verringern. Dazu differenzieren Sie nach Kunden, Lieferanten oder Produkten, wenn Sie die Kennzahlen wie Days Payables Outstanding, Days Inventory Held oder Days Sales Outstanding analysieren. Zur Differenzierung können Sie drei Klassen bilden: A, B oder C. Sie wählen dazu Kriterien wie: Anteil der Teile und ihr Beschaffungswert, Bedeutung der Teile für den störungsfreien Betrieb oder Wiederbeschaffungszeiten. Je nach Bedeutung und Kategorisierung in A, B oder C müssen unterschiedliche Maßnahmen ergriffen werden.
Wo es um geringe Summen oder Mengen geht (Kategorie C), sind die Effekte zur Reduzierung der Kapitalbindung eher gering. Betrachten Sie stattdessen die Fälle, wo es um viel Geld und große Mengen geht. Das sind die A-Fälle aus der ABC-Analyse. Wenn Sie diese verbessert und im Griff haben, wenden Sie sich den weiteren Fällen (B-Klasse) zu.
ABC-Analyse
Die ABC-Analyse ist eine Methode zur Einteilung von Kunden, Produkten, Material und anderen Objekten in drei Klassen oder Kategorien: A, B oder C. Die Objekte werden mit einer für die Analyse relevanten Kenngröße beschrieben und dann nach dieser Kenngröße sortiert. Dadurch entsteht eine Liste, in der das wichtigste Objekt an erster Stelle steht (Element der A-Kategorie) und das unwichtigste Objekt an letzter Stelle (Element der C-Kategorie). Die Grenzen zwischen A-, B- und C-Kategorie werden im Einzelfall festgelegt.
Prozesse analysieren
Ermitteln Sie, welche Prozesse in Ihrem Unternehmen für das Working Capital Management wichtig sind.
- Wo werden Materialien, Teile, Baugruppen, Produkte gelagert?
- Wo befinden sich entsprechende Lagerbestände?
- Welche Prozesse werden dabei durchgeführt?
- Welche Prozesse sind außerdem betroffen?
- Wie erfolgt die Rechnungsstellung und Zahlungsverfolgung gegenüber Kunden?
- Wie funktionieren die Mahnprozesse in Ihrem Unternehmen?
- Wie werden Bestellungen, Einkäufe, Anlieferung durch Lieferanten und Bezahlung von Lieferantenrechnungen organisiert?
Bilden Sie diese Prozesse in einem Schaubild wie in der folgenden Vorlage ab. Ermitteln Sie dann, wo sich welche Schwachstellen befinden können. Nutzen Sie dazu die Hinweise in der folgenden Vorlage und Übersicht.
Kennzahlen ermitteln, darstellen und auswerten
Stellen Sie für die Prozesse dann die Kennzahlen zusammen, die für die Kapitalbindung und das Working Capital Management relevant sind. Das sind:
- Days Payables Outstanding (DPO); Days In Payable (DIP)
- Days Inventory Held (DIH); Days In Inventory (DII)
- Days Sales Outstanding (DSO)
Sie können grafisch mithilfe der folgenden Vorlage sichtbar machen, was genau Sie dabei messen.
Mit der folgenden Excel-Vorlage können Sie auf der Grundlage Ihrer Bilanz diese Kennzahlen zusammenstellen. Damit quantifizieren Sie den sogenannten Cashflow Cycle. Er wird berechnet nach folgender Formel:
Cashflow Cycle (in Tagen) =
Days Payables Outstanding (DPO) + Days Inventory Held (DIH) + Days Sales Outstanding (DSO)
Mit den folgenden Excel-Vorlagen verfolgen Sie auf Monatsbasis, wie sich die einzelnen Kennzahlen im Zeitverlauf ändern. Dadurch wird sichtbar, inwiefern die Ziele des Working Capital Managements erreicht werden – oder welche Gründe es geben kann, dass sie nicht erreicht werden. Analysieren Sie den Zeitverlauf der jeweiligen Kennzahl entsprechend.
Handlungsschwerpunkte mit der ABC-Analyse ermitteln
Führen Sie eine ABC-Analyse für Forderungsbestand, Bestand der Verbindlichkeiten und Lagerbestände durch. Dadurch identifizieren Sie die Bereiche im Unternehmen, also die Teile, Produkte, Kostenstellen, Kunden, Prozesse etc., wo sich Maßnahmen zum Working Capital Management am ehesten lohnen dürften. Nutzen Sie dazu die folgende Excel-Vorlage.
Im nächsten Abschnitt dieses Handbuch-Kapitels werden weitere Maßnahmen vorgestellt und erläutert, wie sie im Rahmen des Working Capital Managements möglich sind. Dabei werden einige betroffene Prozesse genauer analysiert.