KündigungSozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung
- Was bedeutet Sozialauswahl?
- Wann kommt es zur Sozialauswahl?
- Welche Kriterien sind wichtig?
- Die Kriterien im Detail
- Gibt es Ausnahmen von der Sozialauswahl?
- Beispiel aus der Praxis
- Wie setzen Unternehmen die Sozialauswahl um?
- Wie funktioniert das Punktesystem?
- Häufige Fehler bei der Sozialauswahl
- Welche Bedeutung haben Sozialpläne?
- Wie werden Sozialpläne gestaltet?
- Sozialauswahl in besonderen Krisensituationen
- 2 Vorlagen im Praxisteil
Was bedeutet Sozialauswahl?
Sozialauswahl ist ein Begriff aus dem deutschen Arbeitsrecht und spielt eine wichtige Rolle bei betriebsbedingten Kündigungen.
Wenn ein Arbeitgeber aufgrund von wirtschaftlichen Gründen Stellen abbauen muss, darf er nicht willkürlich entscheiden, welche Mitarbeitende gekündigt werden. Stattdessen ist er verpflichtet, im Rahmen der Sozialauswahl diejenigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auszuwählen, die sozial am wenigsten schutzwürdig sind.
Das Ziel der Sozialauswahl ist es, sozial schwächere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu schützen und zu verhindern, dass sie ungerechtfertigt benachteiligt werden.
Wann kommt es zur Sozialauswahl?
Die Sozialauswahl greift immer dann, wenn eine betriebsbedingte Kündigung erfolgt. Gründe hierfür können sein:
- wirtschaftliche Schwierigkeiten,
- die Schließung von Betriebsabteilungen oder
- eine Umstrukturierung des Unternehmens.
Die Sozialauswahl ist nur dann notwendig, wenn vergleichbare Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vorhanden sind, also wenn mehrere Mitarbeitende ähnliche Positionen oder Funktionen innehaben.
Davon betroffen sind alle Betriebe, für die das Kündigungsschutzgesetz gilt, die also in der Regel mehr als 10 Beschäftigte haben.
Welche Kriterien sind wichtig?
Bei der Entscheidung, welche Mitarbeitenden im Rahmen einer betriebsbedingten Kündigung zuvorderst entlassen werden, müssen bestimmte Kriterien berücksichtigt werden. Zu den wesentlichen Kriterien der Sozialauswahl zählen:
- Betriebszugehörigkeit: Wie lange ist der Mitarbeiter schon im Unternehmen?
- Lebensalter: Ältere Mitarbeitende haben oft schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt und sollen daher mehr Schutz genießen.
- Unterhaltspflichten: Hat der betroffene Arbeitnehmer Kinder oder andere Familienangehörige zu versorgen?
- Schwerbehinderung: Behinderte Menschen genießen besonderen Kündigungsschutz.
Die Kriterien im Detail
Um die Sozialauswahl korrekt durchzuführen, müssen Arbeitgeber die vier gesetzlichen Kriterien genau kennen und anwenden:
Betriebszugehörigkeit
Je länger ein Mitarbeiter in einem Unternehmen tätig ist, desto größer ist sein Schutz vor einer Kündigung. Ein Mitarbeiter, der 15 Jahre im Betrieb gearbeitet hat, ist in der Regel stärker zu schützen als ein Kollege, der erst seit einem Jahr dabei ist.
Lebensalter
Ältere Mitarbeitende haben häufig größere Schwierigkeiten, einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Daher spielt das Alter eine entscheidende Rolle in der Sozialauswahl. Je älter ein Mitarbeiter, desto höher ist sein Kündigungsschutz.
Unterhaltspflichten
Mitarbeitende, die für den Unterhalt von Familienangehörigen verantwortlich sind, werden ebenfalls bevorzugt. Das können etwa Eltern sein, die minderjährige Kinder haben oder Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die für pflegebedürftige Angehörige aufkommen.
Schwerbehinderung
Schwerbehinderte Mitarbeitende genießen einen besonderen Schutz vor Kündigungen. Neben der gesetzlichen Berücksichtigung in der Sozialauswahl sind Arbeitgeber zudem verpflichtet, die Schwerbehindertenvertretung und das Integrationsamt einzubeziehen, wenn Schwerbehinderte entlassen werden müssen.
Gibt es Ausnahmen von der Sozialauswahl?
In bestimmten Fällen können Unternehmen von der Sozialauswahl abweichen. Mitarbeitende, die für den Fortbestand des Betriebs unverzichtbar sind, können von der Auswahl ausgeschlossen werden. Dies betrifft beispielsweise:
- Mitarbeitende mit besonderen Qualifikationen, die nicht leicht zu ersetzen sind
- Schlüsselpersonen in Führungspositionen oder in besonders wichtigen Abteilungen
Es ist wichtig, die Gründe für eine Ausnahme sorgfältig zu dokumentieren, um rechtliche Auseinandersetzungen zu vermeiden.
Merke
Die Sozialauswahl wird nur bei betriebsbedingten Kündigungen angewendet und nicht bei verhaltens- oder personenbedingten Kündigungen.
Zudem können bestimmte Mitarbeitende, die für das Unternehmen unersetzlich sind, von der Sozialauswahl ausgenommen werden. Das sind sogenannte „Leistungsträger“.
Beispiel aus der Praxis
Stellen Sie sich vor, ein mittelständisches Unternehmen mit 150 Mitarbeitenden muss aufgrund von Umsatzrückgängen 10 Stellen abbauen. Unter den betroffenen Mitarbeitenden befinden sich zwei Angestellte, die ähnliche Tätigkeiten ausüben:
- Mitarbeiter A: 55 Jahre alt, 25 Jahre Betriebszugehörigkeit, zwei unterhaltspflichtige Kinder.
- Mitarbeiterin B: 30 Jahre alt, 3 Jahre Betriebszugehörigkeit, keine Unterhaltspflichten.
In diesem Fall würde Mitarbeiter A aufgrund seines Alters, seiner langen Betriebszugehörigkeit und seiner Unterhaltspflichten deutlich bevorzugt werden. Mitarbeiterin B müsste eher mit einer Kündigung rechnen, es sei denn, sie verfügt über besondere Qualifikationen, die im Unternehmen dringend benötigt werden.
Wie setzen Unternehmen die Sozialauswahl um?
Um die Sozialauswahl korrekt umzusetzen, sollten Unternehmen folgendem Prozess folgen:
1. Mitarbeiter in vergleichbaren Positionen identifizieren
Der erste Schritt ist die Feststellung, welche Mitarbeitende ähnliche Aufgaben erfüllen und daher miteinander vergleichbar sind.
2. Sozialpunkte ermitteln
Für jeden Mitarbeiter werden Punkte auf Grundlage der vier Kriterien vergeben. Diese Punktvergabe hilft dabei, den sozialen Schutzbedarf der Mitarbeiter zu ermitteln. Wer mehr Sozialpunkte hat, genießt einen höheren Kündigungsschutz.
3. Dokumentation der Auswahl
Eine lückenlose und nachvollziehbare Dokumentation ist unerlässlich. Sollten Mitarbeitende die Entscheidung anfechten, muss der Arbeitgeber in der Lage sein, die Sozialauswahl gerichtsfest zu belegen.
Sie finden unten im Praxisteil eine Vorlage, die Ihnen bei der Durchführung dieses Prozesses und der Dokumentation hilft.
4. Beratung mit dem Betriebsrat
Unternehmen mit mehr als 20 Beschäftigten müssen die betrieblichen Veränderungen und die geplanten Entlassungen mit dem Betriebsrat beraten (sofern dieser vorhanden ist). Ziel ist, eine gemeinsame Vereinbarung zum Vorgehen bei der Kündigung, zur Sozialauswahl und zum Sozialplan zu finden. Die Vereinbarung muss schriftlich dokumentiert werden.
Wie funktioniert das Punktesystem?
Im Kündigungsschutzgesetz (KSchG) gibt es kein explizit festgelegtes Punktesystem für die Sozialauswahl. Das Gesetz legt in § 1 Absatz 3 KSchG lediglich die sozialen Auswahlkriterien fest: Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung.
Die genaue Gewichtung dieser Kriterien bleibt dem Arbeitgeber überlassen, oft im Rahmen von Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträgen, in denen Punktesysteme zur Gewichtung dieser Kriterien definiert werden können
Ein Punktesystem ist also nicht gesetzlich vorgeschrieben, sondern lediglich eine Möglichkeit, die Sozialauswahl strukturierter und transparenter umzusetzen. Solche Systeme sind häufig betriebsintern und werden in Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat oder in Tarifverhandlungen festgelegt.
Häufige Fehler bei der Sozialauswahl
Auch erfahrene Personalverantwortliche können bei der Sozialauswahl Fehler machen. Zu den häufigsten Fehlern zählen:
- falsche Vergleichsgruppen: Mitarbeitende werden in falsche Gruppen eingeteilt oder wichtige Abgrenzungen bei der Qualifikation nicht beachtet.
- mangelhafte Dokumentation: Wird die Sozialauswahl nicht ausreichend dokumentiert, drohen rechtliche Auseinandersetzungen.
- unzulässige Ausnahmen: Nicht jede Führungskraft kann ohne Weiteres von der Sozialauswahl ausgeschlossen werden. Die Ausnahme muss gut begründet sein.
Welche Bedeutung haben Sozialpläne?
Ein Sozialplan ist eine schriftliche Vereinbarung zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat, die bei Massenentlassungen oder größeren Umstrukturierungen zum Einsatz kommt. Der Plan zielt darauf ab, die wirtschaftlichen Nachteile, die Arbeitnehmer durch den Verlust ihres Arbeitsplatzes erleiden, zu mildern. Sozialpläne sind eine wichtige Maßnahme, um soziale Härten abzufedern und rechtliche Konflikte zu vermeiden.
Sozialpläne sind gesetzlich nicht verpflichtend, aber oft vorgeschrieben, wenn ein Betriebsrat vorhanden ist und es zu Betriebsänderungen kommt (§ 112 Betriebsverfassungsgesetz, BetrVG). Dabei gilt der Sozialplan als verbindliche Vereinbarung, die von beiden Seiten – Arbeitgeber und Betriebsrat – umgesetzt werden muss.
Der Sozialplan kann zum Beispiel folgende Regelungen beinhalten:
- Abfindungen für entlassene Mitarbeitende
- Unterstützung bei der Arbeitsplatzsuche (Outplacement)
- Umschulungs- oder Weiterbildungsangebote
- Übergangsregelungen wie verkürzte Arbeitszeiten oder finanzielle Zuschüsse
Wie werden Sozialpläne gestaltet?
Bei der Ausgestaltung eines Sozialplans sollten folgende Punkte beachtet werden, um die betroffenen Mitarbeitenden bestmöglich zu unterstützen und rechtliche Sicherheit zu gewährleisten:
Beteiligung des Betriebsrats
Der Betriebsrat muss in die Verhandlungen und die Gestaltung des Sozialplans eng eingebunden werden. Dies ist gesetzlich vorgeschrieben (§ 111 BetrVG) und es stärkt die Akzeptanz der Maßnahmen und sorgt für eine gerechte Umsetzung.
Gerechte Verteilung der Mittel
Die finanziellen Mittel sollten fair auf die betroffenen Mitarbeitenden verteilt werden, zum Beispiel durch ein Abfindungsschema, das die soziale Situation der Betroffenen (etwa: Betriebszugehörigkeit, Alter, Unterhaltspflichten) berücksichtigt.
Transparente Kommunikation
Der Inhalt des Sozialplans muss den Mitarbeitenden offen und transparent kommuniziert werden, um Missverständnisse und Frustrationen zu vermeiden.
Unten im Praxisteil finden Sie eine Checkliste, die Ihnen bei der Ausgestaltung Ihres Sozialplans hilft.
Sozialauswahl in besonderen Krisensituationen
In außergewöhnlichen Krisensituationen, wie einer Pandemie, einer globalen Wirtschaftskrise oder unerwarteten Marktveränderungen, stehen Unternehmen vor zusätzlichen Herausforderungen, wenn sie betriebsbedingte Kündigungen in Erwägung ziehen. In solchen Phasen kann es notwendig sein, die Sozialauswahl anzupassen oder flexiblere Lösungen zu finden, um den Fortbestand des Unternehmens zu sichern und gleichzeitig den rechtlichen Anforderungen gerecht zu werden.
Während Krisensituationen grundsätzlich keine Ausnahmen vom Kündigungsschutzgesetz (KSchG) ermöglichen, bieten bestimmte rechtliche Rahmenbedingungen dennoch Spielraum für Anpassungen. Zu den möglichen Flexibilisierungen und Anpassungen zählen:
Verkürzte Verfahrenszeiten
In Krisenzeiten kann es notwendig sein, Entlassungen schneller umzusetzen. Unternehmen sollten hier dennoch sicherstellen, dass alle relevanten Kriterien der Sozialauswahl (Betriebszugehörigkeit, Alter, Unterhaltspflichten, Schwerbehinderung) weiterhin korrekt angewendet werden. Eine enge Abstimmung mit dem Betriebsrat kann dabei helfen, die Verfahren zu beschleunigen.
Anpassung der Kriteriengewichtung
Bei erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten kann es sinnvoll sein, die Gewichtung der Sozialauswahl-Kriterien anzupassen, um die Überlebensfähigkeit des Unternehmens zu gewährleisten. Dies bedeutet, dass in Ausnahmefällen der Erhalt von Schlüsselpositionen oder besonders qualifizierten Fachkräften höher bewertet werden könnte als in „normalen“ Situationen.
Die Gründe für die Anpassung zur Vergabe von Sozialpunkten müssen jedoch gut dokumentiert und abgestimmt werden, um Anfechtungen zu vermeiden.
Verzicht auf Sozialauswahl bei bestimmten Personengruppen
In Krisensituationen kann der Fokus stärker auf die betriebliche Zukunftssicherung gerichtet werden, weshalb Leistungsträger oder unverzichtbare Fachkräfte von der Sozialauswahl ausgeschlossen werden dürfen. Hierbei muss jedoch stets beachtet werden, dass die Kriterien für die Unverzichtbarkeit nachvollziehbar und dokumentiert sind, um rechtliche Auseinandersetzungen zu vermeiden.
Kurzarbeit als Alternative zur Kündigung
In Krisenzeiten, insbesondere während der COVID-19-Pandemie, wurde Kurzarbeit häufig als Mittel eingesetzt, um Kündigungen zu vermeiden. Durch den staatlich geförderten Lohnausgleich konnten Unternehmen Personalkosten reduzieren, ohne sofort Kündigungen auszusprechen.
Unternehmen sollten zunächst prüfen, ob der Einsatz von Kurzarbeit eine Alternative zur Kündigung darstellt.
Sozialpläne und freiwillige Programme
Während einer Krise können Unternehmen gemeinsam mit dem Betriebsrat freiwillige Abfindungsprogramme oder Sozialpläne aufsetzen, um Mitarbeitende zu einem freiwilligen Austritt zu bewegen. Solche Programme mildern soziale Härten ab und bieten oft eine bessere rechtliche Absicherung als Massenentlassungen.
Massenentlassungsanzeige
In Krisenzeiten, wenn eine große Anzahl von Arbeitnehmern entlassen wird, sind Unternehmen verpflichtet, eine Massenentlassung bei der Agentur für Arbeit anzuzeigen. Die Anzeige muss fristgerecht erfolgen.
Darin müssen die Gründe für die geplanten Entlassungen, die Zahl der betroffenen Arbeitnehmer, der Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen, und die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer aufgeführt sein.
Sozialplan ausarbeiten
Nutzen Sie die folgende Vorlage, indem Sie jeden Punkt auf der To-do-Liste berücksichtigen, notwendige Maßnahmen ergreifen und die Aufgaben nacheinander als „erledigt“ markieren.
Sozialauswahl treffen und dokumentieren
Diese Vorlage dient zur strukturierten Durchführung der Sozialauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen. Sie enthält Checklisten, um die betroffenen Mitarbeitenden zu identifizieren, Sozialpunkte zu berechnen, den Prozess zu dokumentieren und die Kommunikation mit den Betroffenen sicherzustellen.
So gehen Sie schrittweise vor:
- Definieren Sie die wirtschaftlichen Gründe; bestimmen Sie die betroffenen Abteilungen und Mitarbeitenden.
- Erstellen Sie Regeln für die Vergabe der Sozialpunkte (wenn dies nicht schon vorab gemeinsam mit dem Betriebsrat erfolgt ist).
- Dokumentieren Sie für jeden Mitarbeiter Sozialpunkte, Entscheidungsgründe und eventuelle Sonderfälle.
- Besprechen Sie die wirtschaftlichen Gründe, die Auswahl der Betroffenen und die Vergabe der Sozialpunkte mit dem Betriebsrat.
- Falls nötig, passen Sie die Sozialauswahl an und dokumentieren Sie Ausnahmeregelungen.
- Erstellen Sie gegebenenfalls einen Sozialplan.
- Überprüfen Sie, ob alle rechtlichen Anforderungen erfüllt und alle notwendigen formalen Schritte durchgeführt wurden.
- Informieren Sie die Beschäftigten; teilen Sie mit, wer betroffen ist und wer nicht.
- Führen Sie die Kündigungsgespräche und entwickeln Sie gegebenenfalls mit den Betroffenen einen Plan zum Ausstieg und zur Unterstützung (Sozialplan).